Architektur und Fotografie

Kontakte zwischen Le Corbusier und Lucien Hervé

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Kleine Führung über Le Corbusiers Baustellen gewünscht? Mit Lucien Hervés Kontaktabzügen, die eigentlich gar keine sind, gelingt das ganz leicht. Auf farbige Kartons klebte der Fotograf seinerzeit ausgewählte, kleinformatige Abzüge seiner Architekturfotografien als Arbeitsgrundlage. Jedem Projekt sind mehrere dieser Pappen gewidmet. Und die wurden nun mit all ihren Anmerkungen, Verfärbungen und Macken bei Schirmer/Mosel in einem Buch vereint.

Die Erwartungen halten sich in Grenzen: klassische, kontrastreiche Architekturfotografie eben – im Stil der Moderne. Weniger nüchternes Dokument als durchkomponiertes Bild. Dennoch ist die Enttäuschung groß, als lauter winzige Bilder, auf denen Einzelheiten kaum zu erkennen sind, sich enthüllen. Wozu ist das gut? Nach längerem Blättern und Schauen wird klar: Das Ganze hat einen Sinn! Je intensiver man sich mit den Bildtafeln beschäftigt, um so weniger interessiert die Architektur. Stattdessen rückt der fotografische Blick ins Zentrum. Man vergleicht die Fotografien miteinander, untersucht kleine Ausschnittsverschiebungen, veränderte Belichtungszeiten, Perspektivwechsel, Bildfolgen etc. Man kriecht förmlich hinein in die Bildwelt Hervés, folgt ihm bei seinen Überlegungen und auf seinen Rundgängen um die Gebäude.

Die chronologische Anordnung der Bilder ist dabei hilfreich. Meistens nähert sich Hervé den Bauten von außen, verringert die Distanz bis hin zu fast flächigen Nahaufnahmen von Gebäudeteilen. Überhaupt spielen Flächen und ihr harmonisches Verhältnis zueinander eine wichtige Rolle in den Kompositionen Hervés. Darin ist er sich einig mit Le Corbusier, dem großen Meister der Proportion. Sicher einer der Gründe für ihre späte aber lebenslange Zusammenarbeit von 1949 bis zum Tod des Architekten 1965.

Der Betrachter folgt dem Fotografen weiter, um die Gebäude herum und schließlich hinein in Wohnungen, Fabrikhallen, Kapellen, Gerichtssäle oder Museen bis hinauf in Dachgärten. Jedem von Le Corbusier gestalteten und von Hervé fotografierten Gebäude ist ein Kapitel gewidmet. Sechzehn insgesamt. Ein vorangestellter Text gibt Auskunft über die jeweilige Architektur. Und – nicht zu vergessen – vor jedem Kapitel befindet sich eine Seiten füllende hochgradig abgezogene Fotografie aus der Sammlung. So kommt der Leser wenigstens ab und zu in den Genuss einer detaillierten Betrachtung.

Über die persönliche Beziehung zwischen den Künstlern erfährt man wenig. Mehr im begleitenden Text als im Bild. Ein Arbeitsverhältnis, oft schwierig. Ab und zu ist Corbusier selbst abgelichtet, sogar in seinen privaten Räumen, aber immer mit gebührender Distanz. Der eigentliche Fokus liegt auf dem Entstehungsprozess der Gebäude. Hervé begleitete deren Wachstum mit seiner Kamera, von der Baustelle bis zur Fertigstellung. Nur wenige Objekte fotografierte er erst Jahre nach ihrer Entstehung, sodass die Umgebung meist einen unverstellten Blick auf die Bauwerke frei gibt. Auf diesem Wege fordert sie wieder ihre Aufmerksamkeit, die Architektur.

Interessant ist das sicherlich für architekturwissenschaftliche Studien oder zur Schulung des fotografischen Blicks. Innovativ nicht unbedingt. Dennoch ist dieser Teil der Sammlung Hervés hier in einem soliden, übersichtlich gestalteten Buch zusammengestellt.

  • Titel: Le Corbusier/Lucien Hervé: Kontakte
  • Untertitel: 
  • Bildautor: Lucien Hervé
  • Textautor: Béatrice Andrieux, Quentin Bajac, Michel Richard, Jacques Sbriglio
  • Herausgeber: Éric Cez, Anne Zweibaum
  • Gestalter: Christian Kirk-Jensen/Danish Pastry Design
  • Verlag: Schirmer/Mosel
  • Verlagsort: München
  • Erscheinungsjahr: 2011
  • Sprache: deutsch, englisch
  • Format: 
  • Seitenzahl: 296
  • Bindung: Hardcover mit illustriertem Schutzumschlag
  • Preis: 68 Euro
  • ISBN: 978-3-8296-0546-5

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