Berlin auf den zweiten Blick

Im Herbst häuften sich aus Anlass der 30jährigen Wiederkehr des Mauerfalls die Neuerscheinungen von Büchern, die entweder die Grenzsituation oder das Leben in der früheren DDR thematisieren (siehe den Überblick in Photonews November 2019, S. 12-14). Mich interessierte, was die lange in Berlin lebende, aus Basel stammende und nach dorthin wieder zurückgezogene Fotografin Nelly Rau-Häring (* 1947) aus dem Thema macht.

Ihr Buch heißt Ost/West Berlin und umfasst eine Zeitspanne zwischen 1966 und 2003. Die einzelnen, aus dem Archiv zusammengesuchten Fotos entstanden alle in Berlin, bieten aber darüber hinaus keine durchgehende Narration, was auch durch das auf den ersten Blick bieder wirkende, grob an der Chronologie orientierte Standardlayout (pro Seite ein Bild mit breiten weißen Randflächen) – bewusst? – nicht befördert wird. Im Detail sind allerdings die Bildpaare auf den Doppelseiten hervorragend ausgewählt und erzählen, unabhängig von ihren oft lange auseinander liegenden Aufnahmejahren, Mini-Geschichten. Ost und West sind dabei mit Beispielen aus den Jahren vor 1989 auffällig selten gegenübergestellt. Als „Buch im Buch“, jeweils nur mit einer Abbildung rechts ohne Pendant links, ist eine kleine Serie von skurrilen farbigen DDR-Schaufenstern über das ganze Buch verstreut.

Rau-Härings Fotos treffen den entscheidenden Augenblick und sind immer sehenswert; in ihrer geschickten Zusammenstellung zum Buch ergibt sich, aber erst auf den zweiten Blick, ein veritables und unterhaltsames Porträt der geteilten Stadt.