Das dreckige Geschäft

Christian Lutz zeichnet ein düsteres Bild von Nigeria

Cover

Bei den Fotobuchverlagen hat sie längst einen festen Platz: die reportagehafte und dokumentarische Fotografie, die das Elend der ganzen Welt bezeugt. Wer kann und will dies alles noch sehen? Hat sich angesichts des Leids nicht längst eine stille Resignation eingestellt? Ist der Wunsch nach poetischeren und sinnlicheren Sujets nicht berechtigt?

Nein, denn jedes Thema findet sein interessiertes Publikum. Es kommt immer darauf an, wie man es erzählt. Der Schweizer Fotograf Christian Lutz wählt einen eigenwilligen Weg. Der Schauplatz seiner Fotografien: das westafrikanische Nigeria, achtgrößter Ölexporteur der Welt. Sein Personal: saturierte weiße Businesstypen, ihre abhängigen schwarzafrikanischen Beschäftigten und deren verarmte Großfamilien. Sein Thema: die fiese Verzahnung von Ausbeutern und Unterdrückten, Neokolonialismus in seiner brutalsten Art. Das alles ist in seinem Fotoessay „Tropical Gift” auf 96 Seiten präzise, knapp und, ja, auch düster erzählt.

Armut, Unterdrückung und Elend gibt es an vielen Orten der Welt. Interessant ist aber, wie Christian Lutz die typische nigerianische Prägung herausarbeitet.

Die Fotoserie ist narrativ komplex angelegt, hochgradig verdichtet und spannend aufgebaut. Oftmals wirkt es, als habe ein Drehbuchautor Hand angelegt, und meisterhafte Schauspieler dessen erdachten Szenen umgesetzt. Doch der 38-jährige Fotograf hat nichts inszeniert. Das kostbare Öl, die Gier danach, der Machtkampf der heimischen Potentaten mit den westlichen Konzernvertretern, die wachsende Wut der verarmten Bevölkerung: All dies ergibt eine explosive Gemengelage. Christian Lutz hat diese eingefangen und eine adäquate Bildsprache gefunden.

Die Farben seiner Fotografien sind durchweg fahl und dunkel, selten blitzt mal ein blaues Kleidungsstück oder ein grünes Plastikutensil hervor. Düster ist auch die Natur, mattgrün die Blätter und Gräser, anthrazitfarben die Flusslandschaft, beinahe farbentsättigt die Mangrovenwälder. Menschen schauen allerorten mit stumpfen Augen in die Welt, die Stirn zerfurcht, brütend, dunklen Gedanken nachhängend. Die westlichen Geschäftsmänner der Ölfirmen fädeln wohl den noch lukrativeren Deal ein. Die Regierungsbeamten, meist korrupt und beeinflussbar, wollen wahrscheinlich ihr Stück vom Kuchen. Die verelendeten Nigerianer (greisenhaft aussehende Männer und Frauen) sind vor allem damit beschäftigt, über den Tag zu kommen und im ölverseuchten Nigerdelta etwas Essbares aufzutreiben. Christliche und muslimische Glaubensvertreter, Schamanen, aber auch islamische Fundamentalisten finden in diesem Teil der Welt nicht ohne Grund ihre willige Gefolgschaft.

Die Fotos transportieren eine explosive Stimmung. Wann werden die Nigerianer die Weißen aus ihrem Land vertreiben? Steht das Ende der neokolonialen Herrschaft kurz bevor? Einerlei, ob es sich hier um Suggestion handelt oder nicht. Sicher dürfte sein: Alle, die diese Fotos kennen, werden die Entwicklung Nigerias fortan interessierter verfolgen, und die Mesalliance der westlichen Ölkonzerne mit den korrupten afrikanischen Potentaten kritisch hinterfragen. Kann man als Fotograf mehr erwarten?

  • Titel: Tropical Gift
  • Untertitel: The Business of Oil and Gas in Nigeria
  • Bildautor: Christian Lutz
  • Textautor: Christian Lutz
  • Herausgeber: 
  • Gestalter: Christian Lutz / Lars Müller
  • Verlag: Lars Müller
  • Verlagsort: Baden
  • Erscheinungsjahr: 2010
  • Sprache: englisch, französisch
  • Format: 
  • Seitenzahl: 96
  • Bindung:  Hardcover
  • Preis: 35 Euro
  • ISBN: 978-3-03778-226-2

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