Der Unbeugsame

Walker Evans fotografierte fast 40 Jahre lang für bedeutende Magazine – und widersetzte sich jeder Konvention

Titel

Die große Karriere des Walker Evans ist einem Mann geschuldet: James Joyce. Denn der US-Amerikaner, der in den frühen 1920er Jahren Literatur studierte, wollte Texte schreiben – und zwar ebenso brillant wie der irische Meisterliterat. Um es vorwegzunehmen: Evans scheiterte grandios. „I wanted so much to write, that I couldn`t write a word“, bekannte er in einem Interview mit dem New Yorker. Doch Evans hatte einen Plan B: die Fotografie.

1929, Evans ist gerade 25 Jahre alt, wird sein erstes Foto im Magazin Alhambra veröffentlicht. Seine letzte Fotoserie erscheint 1965 in Fortune. Dazwischen liegen 36 produktive Jahre. Jahre, in denen er bedeutende Bücher publiziert, wie American Photographs (1938) und Let us now Praise Famous Men (gemeinsam mit James Agee, 1941), und sowohl in Avantgarde-Zeitschriften als auch in Publikumsmagazinen seine Fotoserien lancieren kann, darunter Fortune, Harper’s BazaarVogue, Architectural Forum und Life. Der britische Kurator und Autor David Campany widmet sich nun genau diesem Werkkomplex. Das von ihm herausgegebene Buch Walker Evans, The Magazine Work enthält eine detailreiche kunstwissenschaftliche Abhandlung und zeigt Reproduktionen der wichtigsten Foto-Essays.

On the Waterfront

Etwa zur gleichen Zeit als Evans mit einer Rollfilmkamera zu experimentieren beginnt, entscheidet sich der Verleger Henry Luce dafür, der Fotografie eine exklusive Plattform zu geben. Er gründet 1923 das Nachrichtenmagazin Time, übernimmt 1930 das Wirtschaftsmagazin Fortune und 1936 reanimiert er das legendäre Life Magazine. Mit Fortune hat Luce sogleich ein Problem am Hals: Welche Geschichten soll ein Wirtschaftsmagazin nach dem Crash der New Yorker Börse erzählen? Und wie soll man sie transportieren? Luce, der eingefleischte Republikaner, entscheidet sich dafür, nur die Besten an Bord zu holen. Ironischerweise sind dies linksintellektuelle Schriftsteller, Künstler und Fotografen. Einer davon ist Evans. Er stößt 1934 zu Fortune, arbeitet zunächst als Freelancer, wird 1945 zum „Special Photographic Editor” ernannt. Seine Arbeitsbedingungen sind atemberaubend. Max Gschwindt, einstiger Redakteur des Magazins, beschrieb sie so: „Evans had the best job for Fortune. He hardly did anything that was actually due at a time.”

The Wreckers 01

The Wreckers 02

Nicht nur Gschwindt steht Evans ambivalent gegenüber: Dessen Eigensinn ist bewunderungswürdig und strapaziös zugleich. Evans hingegen kann dem konventionellen Fotojournalismus wenig abgewinnen. Es ist kein Zufall, dass er – bis auf eine Ausnahme – nie für die Redaktion des Life Magazine gearbeitet hat. Es missfällt ihm, dass ein populäres Magazin zugleich so populistisch sein muss. Er verabscheut Voyeurismus und Sentimentalität. Während sich Eugene Smith in den späten 1940er Jahren im Auftrag von Life an die Fersen von Landärzten und Hebammen heftet und emotionale Geschichten erzählt, lichtet Walker Evans für Fortune Häuser, Industriegebäude und Stadtlandschaften ab. Überhaupt hat er einen Faible für abseitige Sujets: Er fotografiert Werkzeug, Signets auf Güterwaggons, Autowracks, Hauswände und Türen. Ein Thema, das er immer wieder bearbeitet, ist der Niedergang, der Verfall – von Fabriken, Hafenanlagen, Lagerhäusern oder architektonischen Ikonen.

Before They Disappear

The Auto Junkyard

Evans genießt bis zu seinem letzten Arbeitstag bei Fortune – sein abschließender Foto-Essay wird im April 1965 veröffentlicht –, eine erstaunliche künstlerische Unabhängigkeit: „Walker´d go out to photograph for two months time, and he`d never show up at the office. And one day he would trundle in and would try to sell the story he had gone out to do. Very often he would succeed”, erinnerte sich Max Gschwindt. Evans setzt jedoch nicht nur die Themen, er behält auch während des Produktionsprozesses das Heft in der Hand: Er entscheidet über Design und Typografie, er schreibt die Texte zu den Essays.

Von seinem erstaunlichen Beharrungsvermögen und seinem Mut, sich dem Mainstream-Journalismus zu widersetzen, machte Evans kein großes Aufheben. In einem Interview sagte er dazu lapidar: „I had to fight for ist. But in a way I accepted that as a challenge. I think I won in a long run.”

  • Titel: Walker Evans, The Magazine Work
  • Untertitel: 
  • Bildautor: Walker Evans
  • Textautor: David Campany
  • Herausgeber: David Campany
  • Gestalter: David Campany, Sabine Hahn / Steidl design
  • Verlag: Steidl
  • Verlagsort: Göttingen
  • Erscheinungsjahr: 2014
  • Sprache: englisch
  • Format: 
  • Seitenzahl: 224
  • Bindung: Hardcover
  • Preis: 48 Euro
  • ISBN: 978-3-86930-259-1

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