Die Straße ins Glück

Wilhelm Schürmann meldet sich mit einem Fotobuch zurück

Schürmann_Cover

Wer erinnert sich noch an den Fotografen Wilhelm Schürmann (* 1946)? Nach fast 20 Jahren Pause erschien jetzt wieder ein neues Buch des emeritierten Aachener Fotoprofessors, der in der Zwischenzeit vor allem als Sammler und Kurator in der Öffentlichkeit stand. Schürmann gehörte in den siebziger und achtziger Jahren als Fotograf, Galerist und Kurator zu den Pionieren und Aktivposten der westdeutschen Fotoszene und war maßgeblich daran beteiligt, dass die Fotokunst Anerkennung fand. Schürmann wusste die dokumentarische Strenge der New Topographics mit einem ironischen Unterton zu unterwandern. Dafür stehen auch seine bislang letzten Fotobücher das nötig (1990) und Pegel Köln (1994, nicht 1990!), die durch eine hohe ästhetische Qualität bei nicht minder hohem Unterhaltungswert überzeugen. Schürmann scheint jetzt endlich wieder Zeit gefunden zu haben, sich wieder mit seinem fotografischen Schaffen zu befassen.

Das neue Buch enthält alte Fotos und begleitete eine Ausstellung in Köln. Schürmann hat dafür eine ab 1979 entstandene Serie aufgearbeitet und in Form gebracht, die schon Ende 1981 im Rahmen des Ausstellungszyklus Aspekte der Großstadt – Zeitgenössische deutsche Fotografie im Essener Museum Folkwang zu sehen war. Damals erschien ein winziges Leporello mit fünf Fotos. Eine erweiterte, aber nur schwer betrachtbare Auswahl enthält das 53. Mikrofiche der Reihe Fotonetz (1985) unter dem Titel Auf Station, 1979-82. Thema war die Dortmunder Steinhammerstraße, der Ort, an dem der Fotograf aufwuchs und wo er bis zu seinem studienbedingten Umzug wohnte.

Schon das Titelbild des Buches ist symptomatisch für Schürmanns Methode: zu sehen ist das Erdgeschoss eines völlig unspektakulären Hauses im schönsten Streiflicht. Im Zentrum des Ausschnitts befindet sich ein in die Gründerzeitfassade eingeschnittenes neues, großes Fenster mit gemusterten Gardinen. Irgendetwas mit dem von Linien und Flächen bestimmten, schulmäßig mit der Wasserwaage austarierten Bild irritiert, denn das sonst so schön rechtwinklige Fassadengefüge ist durch das leicht schief eingefügte moderne Fenster minimal gestört. Der Schatten der Fensterbank unterstützt diesen optischen Widerhaken. Dieses leicht Schräge, aus dem Rahmen Gefallene findet sich in der ganze Bildstrecke immer wieder; es ist müßig, die vielen Beispiele dafür aufzuzählen.

Die Straße wird sowohl in architektonischen Gesamt- als auch in Detailaufnahmen dargestellt. Zudem gibt es Interieurs, denn dem ehemaligen Nachbarn standen die Türen offen. Und Schürmanns Onkel hatte in der Straße noch immer seine den Weg zum Glück verheißende Lotto-Annahmestelle… Der Fotograf nutzte konsequent die sich ihm bietende Möglichkeit, um auch noch die Bewohner vor die Kamera zu bitten. Es gelang ihm so, den gesamten Kosmos dieser Straße, angefangen vom schrägen Fenster über müde Gesichter, seltsame Ladeneinrichtungen bis hin zu bombastischen Schrankwänden, zur Darstellung zu bringen. Das Bild der Straße rundet sich im Buch zu einem Bild der Zeit, nicht nostalgisch, sondern lakonisch. So etwas Ähnliches hat man aus den eigenen Fotoalben vor Augen. Aber nur ein beharrlich subjektiv arbeitender Fotograf wie Schürmann konnte aus den Banalitäten des Alltags einer Großstadt im Ruhrgebiet dieses als Langzeitprojekt realisierte Straßenportrait destillieren, das ihn als einen Erben von Chargesheimer erscheinen lässt, der mit Unter Krahnenbäumen (1958) ein nicht minder treffendes, wenn auch seiner Zeit entsprechend „bunteres“ Straßenportrait vorgelegt hatte. Schürmanns Bilder wurden in formal strengem Layout, aber in überlegter Sequenzierung zum Fotobuch verdichtet. Seltsam, dass es nach der Ausstellung 1981 und der Veröffentlichung des Mikrofiches 1985 so lange gedauert hat, bis Schürmanns Arbeit in einer adäquaten und dauerhaften Form die Öffentlichkeit erreicht hat. Bitte mehr davon!

  • Titel: Wegweiser zum Glück
  • Untertitel: Bilder einer Straße
 1979-1981
  • Bildautor: Wilhelm Schürmann
  • Textautor: Gabriele Conrath-Scholl
  • Herausgeber: Die Photographische Sammlung / SK Stiftung Kultur
  • Gestalter: Jutta Herden
  • Verlag: Hatje Cantz
  • Verlagsort: Ostfildern
  • Erscheinungsjahr: 2012
  • Sprache: deutsch, englisch
  • Format: 
  • Seitenzahl: 228
  • Bindung: illustriertes Hardcover
  • Preis: 49,80 Euro
  • ISBN: 978-3-7757-3309-0

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