Die Welt, die Wunde

Das fotografische Werk der Französin Sophie Ristelhueber

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Die Fotografin Sophie Ristelhueber zeichnet auf, was am Ende eines Krieges übrig bleibt: Trümmer, Ruinen, Wunden und Narben. Das Pariser Jeu de Paume widmete der Künstlerin im Frühjahr eine große Werk- schau. Der Ausstellungs- katalog trägt den schlichten Titel „Operations“ und zeigt das umfassende Werk – darin eingeschlossen die vielfältigen Buchprojekte.

Zuschauer bei Katastrophen zu sein, die sich in einem anderen Leben ereignen, ist eine alltägliche mediale Erfahrung, zu der uns Berufstouristen verhelfen, die wir Kriegsreporter nennen. Sophie Ristelhueber ist keine Kriegsreporterin im klassischen Sinne. Seit über 25 Jahren hält sie der Faustregel der Massenpresse und Nachrichtenkanäle „If it bleeds, it leads“ (Blut zieht immer) ihre abstrakten, nüchternen Bilder aus Krisengebieten entgegen. Bereits in ihrer fotografischen Serie „Beyrouth“ (Beirut), die 1984 in Buchform erschien, zeigt sich ihr eigenwilliger Stil. Aufgerissene Häuser, zerfetzte Jalousien, durchlöcherte Fassaden und ausgeweidete Kinosäle sind für Sophie Ristelhueber genauso beredt wie blutende Menschen. Doch die Stärke der 60-jährigen Fotografin liegt nicht allein darin, eine Bildmetaphorik zu schaffen, in der Landschaften und Gebäude als verwundete Körper erscheinen. Sophie Ristelhueber, die Literatur studierte und als Journalistin tätig war, bevor sie sich für die Fotografie entschied, arbeitet stets die Eigenarten der Orte heraus, in die sich die Spuren des Krieges eingeschrieben haben. Beirut beispielsweise war vor dem Libanon-Israel Krieg in den 1980er Jahren eine für den Nahen Osten exemplarische, moderne Metropole, von der nur Ruinen übrig blieben. Bei keinem anderen Krieg verwendete Ristelhueber später die Metaphorik der Trümmer.

Ihre fotografischen Studien setzte Ristelhueber 1991 in Kuweit fort: Monatelang bereiste sie auf eigene Faust die Schauplätze des Ersten Golfkrieges, flog in Flugzeugen und Helikoptern u.a. der UNO über das Kampfgebiet und fotografierte: Brennende Ölfelder und zerstörte Kampfpanzer ebenso wie kilometerlange Schützen- gräben, die wie tiefe Wunden im Wüstensand klafften. Später schritt Ristelhueber auch die Wüste ab, zoomte sich immer näher an das verlassene Kampfgebiet heran. In ihrem 1991 publizierten Fotobuch „Fait“ (Fakt), das die fotografische Serie über Kuweit vereint, zeugen keine Leichen, sondern ein Stiefel und ein Uniformrest von menschlichem Leid.

Im gleichen Jahr reiste Ristelhueber nach Jugoslawien, zunächst ratlos, wie sie den Bürgerkrieg zwischen Serben und Kroaten in Bilder fassen sollte: „In diesem Krieg richtete sich unglaubliche Gewalt gegen den menschlichen Körper selbst. Wie konnte ich ein Sinnbild für dieses Leiden finden, das immer bleiben wird?“ Die Fotografin kehrte nach Paris zurück, fotografierte in Krankenhäu- sern Kriegsopfer, deren Namen sie nicht preisgab. Die Fotoserie wurde 1994 als Fotobuch unter dem Titel „Every One“ veröffentlicht: Mit einem vernarbten Frauenschlund, einem mit groben Stichen vernähten Männertorso findet sie darin wirksame Allegorien für den blutigen Balkankrieg.

Ristelhuebers präzise Bilder regen zum Nachdenken an; sie liefern nicht die Gewissheit, dass man über massenhaftes Leiden bereits alles weiß. Jeder Krieg ist anders, jeder hat seinen besonderen Schrecken: Ristelhueber gelingt es, universelle Zeichen zu finden und den jeweiligen Konflikt, die typische Gewalt auf verblüffende Weise anschaulich zu machen. Enthauptete Palmen, die sich wie Soldaten über den irakischen Wüstensand verteilen, zeigen die Präsenz der Besatzungsmacht, ohne dass es nötig gewesen wäre, Soldaten oder militärische Hardware abzubilden. Eine Straße in der West Bank (Westjordanland), von einem tiefen Krater in zwei Teile zerlegt, sagt mehr über die Separation von Israelis und Paläs- tinensern aus, als die zahlreichen Pressefotos von der israelischen Mauer. (Die Fotoserie über das Westjordanland erschien 2005 unter dem Titel „WB“ als Fotobuch.) Mit ihren Fotobüchern und ihren Ausstellungen gelingt es Sophie Ristelhueber seit beinahe drei Jahrzehnten sichtbar zu machen, was sonst unsichtbar bliebe.

  • Titel: Operations
  • Untertitel: 
  • Bildautor: Sophie Ristelhueber
  • Textautor: Bruno Latour, David Mellor, Thomas Schlesser
  • Herausgeber: 
  • Gestalter: 
  • Verlag: Thames & Hudson
  • Verlagsort: London
  • Erscheinungsjahr: 
  • Sprache: englisch
  • Format: 
  • Seitenzahl: 464
  • Bindung: Hardcover, Schutzumschlag
  • Preis: 44 Euro
  • ISBN: 978-0-500-09349-8

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