Ein Beitrag zur Bildkultur der Mobilität

Autobahn von Jörg Brüggemann

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Deutschland ohne seine Autobahnen – undenkbar! Der Begriff wird sogar im Englischen verstanden und die unsere Landschaft zerschneidenden Bänder aus Beton und Asphalt haben hierzulande eine lange Geschichte. Genauso alt ist die Tradition der Bücher über Autobahnen, zum Beispiel in Gestalt der schon früher hier vorgestellten Fotobücher von Hans-Christian Schink, Sebastian Mölleken und Sue Barr, um drei jüngere Vertreter zu nennen.

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Mit einem blauen Cover mit einer sachlichen, weißen Typographie, also im Stil eines Hinweisschildes an den Bundesautobahnen, tritt das Buch von Jörg Brüggemann auf. Das grau strukturierte Vorsatzpapier erinnert an Asphalt und es geht gleich rasant weiter – mit dem Bild eines Staus. Die Insassen haben ihre auf drei Fahrspuren parkenden Fahrzeuge verlassen, stehen wartend im Bereich der vorschriftsmäßig freigehaltenen Rettungsgasse, während der Verkehr auf der Gegenfahrbahn ungehindert rollt. Im Folgenden spielt Brüggemann immer wieder mit dem Klischee des Autobahnbildes, beginnend mit der landschaftlichen Einbindung, die das Fahren nicht nur schnell und reibungslos, sondern auch zum optischen Genuss machen sollte. Zuweilen muss man die Straße suchen, weil sie so gut im Grün der Umgebung versteckt ist. Ein Motiv zitiert den Fotografen Hans Harz, der für den 1943 erschienen farbigen Jubelband Das Erlebnis der Reichsautobahn eine Reisende direkt am Rand der damals noch gepflasterten Straße sitzend inszenierte, und zwar vor deren imposanter, einem Steilhang abgerungener Trasse (Abb. siehe Deutschland im Fotobuch, 2011, S. 59). Die aktuelle Version zeigt eine sechsspurige Autobahn in einem öden Gewerbegebiet, soeben überflogen von einem großen Flugzeug. Es wäre heutzutage schwer erträglich, Propaganda ausgerechnet für Autobahnen vorgesetzt zu bekommen. Brüggemann ist selbstvertändlich kein Mann der Propaganda, sondern der kritischen Ambivalenz und der ironisch perfektionierten Komposition.

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Der Fotograf verließ für seine Autobahnstillleben und -landschaften das graue Fahrband und schaute sich auf den angrenzenden Flächen um, wo Häuser direkt bis an die Schallschutzmauern gebaut wurden (oder war es umgekehrt und die Häuser waren eher da?), wo ein birkengesäumter Feldweg überquert wird, wo sich Autoschlangen über Umleitungsstrecken quälen und Brückenpfeiler wie groteske Skulpturen gen Himmel ragen. Pseudo-Idyllen und starke Details wechseln sich ab. Bis auf eine doppelseitige A-Liste, vielleicht die Fundorte der Motive grob angebend, bremst kein Text das Sehvergnügen. Dieses endet mit einem in einem Tunnel verschwindenden Lastwagen, dessen Ladung mit einem X-förmigen Band gesichert ist. Das wirkt – wie durchgestrichen – als Kommentar zu Mobilität und überbordendem Warentransport und entlässt den Leser sowohl gut unterhalten als auch nachdenklich.

Die Ausstellung zum Buch ist noch bis 6.1.2021 in Mannheim zu sehen.

 

  • Titel: Autobahn
  • Untertitel: 
  • Bildautor: Jörg Brüggemann
  • Textautor: 
  • Herausgeber: 
  • Gestalter: HelloMe
  • Verlag: Hartmann Books
  • Verlagsort: Stuttgart
  • Erscheinungsjahr: 2020
  • Sprache: deutsch, englisch
  • Format: 32,5 cm x 27,5 cm
  • Seitenzahl: 96 (nicht paginiert)
  • Bindung: Hardcover
  • Preis: 38 Euro
  • ISBN: 978-3-96070-052-4

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