Ein Buch über das Verpassen

„Miss“ im Englischen bedeutet u.a. auch verpassen. So kann im Snooker ein Miss gegeben werden, wenn sich die Kugeln nicht in der vorgeschriebenen Weise berühren. Miss ist auch eine unverheiratete Frau – hat sie wirklich etwas verpasst? Oder es sind Schönheitsköniginnen: Miss Handicap, Miss Wild West, Miss Pit Stop Day, Miss Tuning, Miss Bern Ost etc. Dieser offenbar gar nicht so seltenen Spezies hat sich der Schweizer Fotograf Martin Guggisberg (* 1971) angenommen und den jungen Frauen im Zuge des allgegenwärtigen Strebens nach Ruhm, Schönheit und Aufmerksamkeit – im Fernsehen wird gemodelt, gesungen, getanzt, was das Zeug hält – ein bittersüßes Denkmal gesetzt. Unter welchen Bedingungen müssen sie sich mehr oder weniger entkleidet dem vorwiegend männlichen Publikum zeigen: im Schnee, im Stall, auf schäbigen Bühnen, in Autohäusern. Was wohl die Frauen dazu treibt, sich das anzutun? Guggisbergs Blick ist unglamourös, entblößt weniger die nackte Haut als das eiskalte Geschäft damit und konfrontiert das mit den koketten, ehrgeizigen, neidischen, enttäuschten Minen der Kandidatinnen, die ins Rampenlicht streben. Das wie ein Kinderbuch in einen dicken Einbandkarton gebundene Buch enthält zum Luftholen ein paar bildfreie Doppelseiten, die in reinen, leuchtenden Farben gedruckt sind, die als Quersummen aus den Fotos entnommen sind. Fotos und Buch passen in ihrer unterhaltsam entzaubernden Ambivalenz perfekt zum Thema. Verpasst haben am Ende 9 von 10 Frauen das Ziel, nämlich Miss zu werden, und wenn es am Ende nur zur „Miss RVBW des Strassenverkehrsamtes Wettingen“ hätte reichen sollen.