Erfindung des Sichtbaren

Während die Franzosen in der Geschichte der Fotografie bekanntlich eine herausragende Rolle einnehmen, sind sie im gegenwärtigen internationalen fotokünstlerischen Geschehen kaum präsent. Die Becher-Schule, die arrangierten und inszenierten Bildwelten eines Jeff Wall oder Gregory Crewdson, die unkonventionellen Bildfindungen junger Fotografen aus Deutschland, Skandinavien und Japan bestimmen den Kunstmarkt und damit auch unsere Wahrnehmung, von dem was Fotografie heute ausmacht. Natürlich gibt es nach wie vor fotografierende Franzosen. Und die Bandbreite ihrer Bildfindungen ist beträchtlich, wie das im Kerber-Verlag erschiene Kompendium „Réinventer le visible – Das Sichtbare neu erfinden“ belegt. Der Untertitel sagt, wo es lang geht: „1985-2005. 20 Jahre zeitgenössische Fotografie in Frankreich aus der Sammlung Maison Européenne de la Photographie“.

Das Sichtbare neu erfinden ist ja eigentlich das Leitmotiv der künstlerischen Fotografie überhaupt. Von daher scheint die Frage, von Herausgeber Kai Uwe Schierz (Kunsthalle Erfurt) im Vorwort formuliert, ob denn überhaupt eine spezifisch französische Variante der Fotografie existiere, berechtigt. Er beantwortet sie vorsichtshalber nicht und verweist stattdessen auf die Vergangenheit und den nach wie vor starken Einfluss der Tradition des Surrealismus auf die zeitgenössischen französischen Fotografen. Und er weist auf das vorliegende Buch hin, das sich als kleines Lexikon entpuppt. Die Einträge reichen von Valérie Berlins ins Skulpturale reichende Schwarz/Weiß-Porträts bis hin zu den bizarr verstörenden Baby-Bildern Yves Trémorins. Jeder der 21 Künstler und Künstlerinnen wird mit mehreren Fotos aus meist einer Serie vorgestellt. Auf diese Weise entsteht durchaus eine Galerie französischer Gegenwartsfotografie mit allen Facetten der – internationalen Fotoszene.