Fortschritt als Versprechen

In eigener Sache ein Beitrag über ein Buch zum Thema Industriefotografie, das nicht wirklich vorlag…

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Bitte erlauben Sie mir zunächst einige grundsätzliche Bemerkungen. Unser kleiner Blog zur Berichterstattung über neu erschienene, hin und wieder auch über alte Fotobücher und damit verbundene Veranstaltungen geht nun in das 18. Jahr seines Bestehens und wir haben seitdem in unregelmäßiger Folge etwa 640 Beiträge veröffentlicht. Eigentlich immer ging es darin um fotoillustrierte Künstlerbücher, Monographien oder Kataloge, von denen wir uns unsere Repros selbst herstellen. Wir brauchen nämlich keine einzelnen Pressefotos, wie sie die Verlage gern anbieten und die vielleicht zur Illustration von Rezensionen in Tageszeitungen Sinn machen, sondern Bilder von möglichst charakteristischen Doppelseiten. Nur so lässt sich eine Ahnung vom der Anordnung von Bildern und Text gewinnen. Nebenbei und ganz ohne Worte vermittelt sich im Grad der Aufwölbung der Seiten, manchmal auch durch das Auftauchen von Fingern, die zum Offenhalten des Buches nötig waren, ein Eindruck von der Beschaffenheit der Bindung – liegen die Doppelseiten flach, ist diese lesefreundlich, muss Kraft aufgewendet werden, stimmt etwas nicht.

In den letzten Monaten wurden uns von den Verlagen zunehmend oft keine Rezensionsexemplare angeboten, sondern PDF-Dateien der betreffenden Bücher. Wir haben das bislang immer abgelehnt, weil wir keine Dateien rezensieren wollten und wir der Meinung sind, dass Verlage, die Dateien für Rezensionszwecke herausgeben, ihr Produkt nicht verstehen – oder sie verstehen nicht die Idee unseres Blogs, nämlich Fotobücher vorzustellen. Diese zeichnen sich durch eine in einer ganz bestimmten Form kombinierte und produzierte Auswahl von Fotos und Texten aus. Papier-, Druck- und Bindequalität gehören selbstverständlich mit zum Gesamtbild eines solchen Werks – und wenn uns dazu etwas positiv oder negativ aufgefallen ist, haben wir das auch geschrieben.

Die wirtschaftliche Situation am Büchermarkt ist inzwischen nicht mehr rosig – es gibt nach wie vor Unmengen an Neuerscheinungen, die ihren Weg zu den zu umwerbenden Käuferinnen und Käufern finden müssen. Viele Fotobücher können nur dann noch erscheinen, wenn Herausgeber und/oder Autoren sich an den laufend steigenden Produktionskosten beteiligen (oder wenn sie das Buch gleich selbst produzieren und vertreiben). Daher durchaus verständlich, wenn Verlage sparsam mit Rezensionsexemplaren haushalten und den Weg einer quasi kostenneutralen Überlassung eines PDF per E-Mail gehen. Dies in der Hoffnung, dass die Rezension auch auf Basis einer Datei dem Charakter des eigentlichen Produktes, des Buches, irgendwie entsprechen wird. Ich habe mich nun erstmals und ausnahmsweise auf diese neue Form eingelassen und die Datei eines Kataloges einer Ausstellung im Deutschen Historischen Museum in Berlin angefordert, die mich neugierig gemacht hatte.

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Es geht um Industriefotografie in BRD und DDR, um Unterschiede und Gemeinsamkeiten, um gestalterische Prinzipien zwischen Werbung und Dokumentation, immer wieder auch um Gedrucktes, genauer beispielsweise um mit Fotos illustrierte Broschüren zur Werbung von Mitarbeitern, Ausschnitte aus Zeitschriften oder Chroniken, die zu Firmenjubiläen erschienen. Der Ausstellungskatalog ist allerdings kein Buch über Firmenschriften, aber Drucksachen werden immer dann herangezogen, wenn der Publikationszusammenhang einzelner Fotos dargestellt werden soll (was relativ oft vorkommt). Der etwa 2/3 des Umfangs ausmachende Katalogteil ist dabei zuerst nach Branchen geordnet (Kohle, Stahl, Chemie, Textil, Automobil), wobei zwischen BRD und DDR, also zwischen Markt- und Planwirtschaft unterschieden wird, und dann Beispiele aus einzelnen Firmen vorgestellt werden. Neben aus Museen und Archiven zusammengetragenen Fotos und Reproduktionen bieten die Bildlegenden in aller Kürze Informationen über das, was es zu sehen gibt. Im Textteil wird in Hinsicht auf Industriefotografie auf deren historische Kontexte, die Inszenierungen, Stereotypen und Bildtraditionen, auf die immer präsenten Räume und Orte der Produktion sowie die Arbeitenden als Sujet und Zielgruppe eingegangen. Ohne dabei in Details zu gehen, wird damit ein breiter Zugang zu dem im musealen Rahmen nicht eben alltäglichen Thema geöffnet.

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Wie das Buch aussieht, weiß ich nicht. Die Datei hat den Vorteil, dass ich sie bequem zum Beispiel nach Namen durchsuchen kann, zum Beispiel nach Dr. Paul Wolff (der am Rande sowohl im Text- als auch im Katalogteil vorkommt, allerdings, weil 1951 verstorben, in der fraglichen Epoche nicht mehr aktiv war), oder nach dem VEB Kabelwerk Oberspree, das eine bemerkenswerte Folge von fotoillustrierten Firmenbüchern herausgab (kommt nicht vor, weil nicht in die Branchenauswahl passend oder möglicherweise ohne passende Überlieferung von Bildern). Viele Bildwiedergaben sind stark pixelig, weil man die Dateigröße für das Presse-PDF in Grenzen halten wollte.

Die Datei gibt es selbstverständlich nicht im Handel, dort liegt nur das Buch. Sie müssen selbst entscheiden, ob Sie mein Beitrag zum Besuch der vermutlich interessanten und nach den Installationsfotos auf der Website üppig auch Drucksachen präsentierenden Ausstellung oder zum Erwerb des Kataloges motiviert. Wenn es Ihnen nur um die reinen Information zur Ost-West-Thematik unter besonderer Berücksichtigung der Industriefotografie ginge, würde das digitale Format reichen. Wenn Sie Originale (Abzüge, Bücher, Broschüren, Zeitschriften) in ihrer originalen Größe und Anmutung sehen möchten, schauen Sie sich die Ausstellung an. Wenn Sie, so wie ich, ein Buch zur Hand nehmen und nach Lektüre ins Regal stellen wollen, also einen sinnlichen Umgang mit bedrucktem Papier pflegen, ist die Entscheidung auch klar.

Fazit: Vielleicht bin ich in dieser Beziehung altmodisch und sentimental, aber ich werde so lange wie möglich reale Bücher bevorzugen – spätestens wenn es keine mehr gibt, ist auch die Zeit unseres Fotobuchblogs abgelaufen.

 

 

  • Titel: Fortschritt als Versprechen
  • Untertitel: Industriefotografie im geteilten Deutschland
  • Bildautor: (diverse)
  • Textautor: Raphael Gross (Vorwort), Stefanie Regina Dietzel/Carola Jüllig, Annette Schuhmann, Friedrich Tietjen, Thomas Dupke/Stefanie Grebe, Steffen Siegel
  • Herausgeber: Carola Jüllig und Stefanie Regina Dietzel für das Deutsches Historisches Museum (Berlin)
  • Gestalter: Peter Nils Dorén
  • Verlag: Hatje Cantz Verlag
  • Verlagsort: Berlin
  • Erscheinungsjahr: 2023
  • Sprache: deutsch
  • Format: ?
  • Seitenzahl: 254
  • Bindung: ?
  • Preis: 44 Euro
  • ISBN: 978-3-7757-5426-2

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