Gebüsche und Granaten

Ein „Heimatbuch“ von Peter Granser

Granser_Cover

Welches Schicksal haben Gruorn, Berich und Garzweiler gemeinsam? Es sind Orte, die für einen Truppenübungsplatz, einen Stausee oder den Braunkohlentagebau weichen mussten, also von den Landkarten verschwanden. Von Gruorn (auf der Schwäbischen Alb) ist zumindest die (restaurierte) Kirche mit dem Friedhof und das jetzt als Ausflugslokal genutzte ehemalige Schulhaus noch da. Das ermöglicht den Menschen, den 1939 zwangsweise zur Erweiterung des Truppenübungsplatzes Münsingen geräumten Ort ihrer Großeltern lokalisieren und aufsuchen zu können, Erinnerungsarbeit zu verrichten. Die Soldaten hinterließen auf dem 2005 als „Biosphärenreservat“ geschützten Areal Panzerstraßen, Unterstände, militärischen Sondermüll.

Was zeigt Granser? Gebüsche und Wege in Schwarzweiß und in Farbe Stillleben von aufragenden Munitionshülsen (gesammelt in Gruorn?). Fotografische Orientierungspunkte sind einerseits die Arbeiten von Andreas Magdanz, was die die Beschäftigung mit historisch kontaminierten Arealen und Objekten einschließlich des Einbeziehens von Fundstücken angeht, andererseits John Gossage oder Lewis Baltz, was die Ästhetik der Landschaftsaufnahmen betrifft. Ein bisschen Becher-Typologie spielt für die strengen Munitions-Sachaufnahmen auch noch mit hinein. Das an Wochenenden gut besuchte Rest-Gruorn kommt in Gransers Buch nicht vor, dessen Titel sehr konkret eine Beschäftigung mit Heimat verspricht. Die Touristen, die Wanderer und Radfahrer, die Angehörigen, die ehemaligen Gruorner – Gransers Sujets sind menschenleer und bis auf den letzten Bürgermeister, dessen Zitat aus dem Jahre 1937 stammt, kommt auch niemand zu Wort. Keine Bauwerke sind zu sehen – mit gelegentlicher Ausnahme eines sich in der Vegetation abzeichnenden Fundamentes oder Mauerstücks. Dafür werden ortlose Gebüsche, Wiesen, die allenfalls Archäologen Zivilisationsspuren preisgeben, sowie reichlich Granaten oder sogenannte Darstellungskörper gezeigt. Die „Kampfmittel“ scheinen, rein quantitativ gesehen, das eigentliche Thema des Buches zu sein. Granser hat einen bemerkenswerten Begriff von Heimat und fand dazu merkwürdig angeordnete Äste und Zweige, Spuren von Panzerketten, Spuren von Soldaten, aber nicht von den Menschen, für die Gruorn Heimat bedeutet. Als Gimmickbeilage gibt es ein Leporello mit Fotos subtil eingefärbter Grasflächen auf der einen und einem Landschaftspanorama in Sehschlitzperspektive auf der anderen Seite. Fotograf Granser hat die Kunst für sich entdeckt.

Vor drei Jahren fragte ich am Ende einer Rezension von Gransers grandiosem Buch über die USA, wie er wohl in Deutschland fotografieren würde. Jetzt weiß ich es. Ob das neue Buch unbedingt erscheinen MUSSTE, weil das Thema unter den Nägeln brannte, weil es eine als schmerzlich empfundene Lücke schließt, weil es allerhöchste Zeit war, endlich damit an die Öffentlichkeit zu kommen, und ob es dann auch noch die richtige Form gefunden hat, wage ich angesichts von „Was einem Heimat war“ zu bezweifeln.

  • Titel: Was einem Heimat war
  • Untertitel: Birgit Vogel
  • Bildautor: Peter Granser
  • Textautor: 
  • Herausgeber: Elmar Brambach, Birgit Vogel
  • Gestalter: 
  • Verlag: Bücher & Hefte Verlag
  • Verlagsort: Berlin
  • Erscheinungsjahr: 2012
  • Sprache: deutsch, englisch
  • Format: 
  • Seitenzahl: 80 plus Beilage
  • Bindung: illustriertes Hardcover
  • Preis: 28 Euro
  • ISBN: 978-3-9814530-2-7

Eine Antwort zu Gebüsche und Granaten

  1. Pingback: Feindbilder | kasseler fotobuchblog