Herr Struth geht spazieren

Kleine Beobachtungen eines grossen Künstlers

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Nie, hatte ich gedacht, würde ich mir ein Buch eines der Herren Struffsky kaufen, und nun habe ich nach nur kurzem Zögern zugeschlagen: ein gerade ’mal postkartengrosses Werk, knapp 200 Seiten dick mit ca. 120 farbigen Abbildungen. Es sind die optischen Notizen des spazieren gehenden Thomas Struth. In einem kurzen unprätentiösen Essay benennt er Architektur als persönlichkeitsprägend, auf jeden Fall für ihn selbst. Seine Stadterlebnisse hatte er in der Jugend in Düsseldorf und jetzt vermehrt auch in Berlin, seinem heutigen Wohnort. Sechs weitere Städte von New York bis Corrubedo werden angegeben, an den Bildern direkt aber nicht vermerkt. Einige Stationen in Berlin konnte ich festmachen: die Gedächtniskirche, eine Ecke der Karl-Marx-Allee, das abstruse Rotaprint-Gebäude in Berlin-Wedding (alle Achtung: Thomas Struth hat sich umgetan). Gern hätte ich noch gewusst, ob der Dreimaster in einem Hamburger Fenster steht oder gar in einem Potsdamer. Die Fassade mit dem Schriftzug ZENIT vermute ich im Prenzlauer Berg. Einmal tippe ich auf Zürich, einmal auf Düsseldorf und mehrmals auf New York. Natürlich ist die Kenntnis der Orte nicht vordringlich wichtig. Erfreulicherweise hat der Autor eine Typologie der Hausecken und -eingänge vermieden. Hin und wieder weitet sich die Szenerie bis zur Totalen. Struths Blickrichtung ist selten frontal, sondern meistens schräg, so wie man beim Gehen beiläufig zur Seite schaut. Es sind kleine Beobachtungen, die keinesfalls des Humors entbehren (auch das hätte ich bei unseren Grosskünstlern nie vermutet), ein lakonischer Humor bis hin zu verhaltener Komik. Da lugt neben einem öden Hauseingang ein Comic-Kater gerade ’mal unter einer fast geschlossenen Jalousie hervor. Über einem Schaufenster steht BERLIN, hinter der Scheibe ist nur trübe Leere, möglicherweise gar in München als bayrische Sicht auf die Hauptstadt festgemacht. Freude an Surrealem und an absurden städtischen Versatzstücken ist mit zu erleben. Banales wird zum kleinen Ereignis, nimmt durch seine präzise Erfassung gefangen. Manchmal ist es subtile Farbigkeit, die erfreut: in einem Fenster hinter einem goldlackierten Auto und einem in türkis bietet ein scharlachroter Vorhang den Kontrapunkt. Die Fotografien hauen nicht auf die Pauke und fesseln dennoch, ich vermute sogar bei wiederholter Betrachtung. Auf jeden Fall fehlt den Bildern unnötige Bedeutungsschwere. Sie sind nicht verkopft, sondern kommen mit beschwingten Schritten daher.

Es macht Spaß, mit Herrn Struth spazieren zu gehen.

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  • Titel: Walking
  • Untertitel: 
  • Bildautor: Thomas Struth
  • Textautor: Thomas Struth
  • Herausgeber: 
  • Gestalter: Ivorypress
  • Verlag: Ivorypress
  • Verlagsort: Madrid
  • Erscheinungsjahr: 2013
  • Sprache: englisch
  • Format: 15 x 10,5 cm
  • Seitenzahl: 192
  • Bindung: Klappenbroschur
  • Preis: 20 Euro (Website des Verlages)
  • ISBN: 978-84-941462-2-0

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