Die Welt hinter dem Kino

Krass Clements obsessives Portrait eines Stadtviertels

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Mit der einer gewissen Zuverlässigkeit erscheint etwa alle zwei Jahre ein neues Fotobuch von Krass Clement – seit 1978 sind es jetzt 21 Werke, die in einer laufend fortgeführten Bibliografie (seit Anfang der 1990er-Jahre immer auf der letzten Seite jedes dieser Bücher) aufgeführt sind. Dabei zählen nur die monothematischen Fotobücher, nicht die Ausstellungskataloge, Monographien und die Bücher, für die Clement einzelne Bilder oder Bildstrecken beigesteuert hat. Clement hat seine Methode in den letzten Jahren verfeinert: aus vorhandenen Bildern unterschiedlichen Alters komponiert der Fotograf eine Bilderzählung, die bis auf den Titel des Buches und einen Hinweis auf den Entstehungszeitraum ohne Texte funktioniert. Es kommt allein auf die Bilder, deren Auswahl und vor allem auf die oft mit Wiederholungen und Varianten arbeitende Sequenz an – so entsteht aus ohnehin sehenswerten Einzelbildern eine dichte, verschachtelte Bildstrecke, die einen Sog entwickelt, der den Betrachter einfängt und zwangsläufig erst am Ende des Buches wieder freilässt. Kino zwischen Buchdeckeln sozusagen, mit anonymen Darstellern und einem Regisseur, der mit höchster Souveränität seinen „Film“ zur Aufführung bringt. Clement (* 1946) hatte ja tatsächlich Filmregie studiert, bevor er sich ganz der Fotografie zuwandte.

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Der Vergleich mit dem Film liegt bei Clements neuestem Werk besonders nahe, steht doch ein Kino mit dem sprechenden Namen Saga in dessen Mittelpunkt. Das Saga befand sich in Vesterbro, einem Viertel Kopenhagens, das einem rasanten Wandel unterworfen war und vielleicht noch ist. Man lese dazu nur die Charakterisierung bei Wikipedia: demnach stehen heute die drei der acht höchsten Hochhäuser Dänemarks in diesem früheren Arbeiterviertel. Die Bilder entstanden zwischen 1963 und 2010, was bereits andeutet, dass Clement noch viel von der früheren Atmosphäre des heruntergekommenen Quartiers spüren und festhalten konnte. 95% seiner Bilder sind schwarzweiß.

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Clements Erzählung beginnt mit vier unbunten, rätselhaften Farbaufnahmen aus einer düsteren Tiefgarage: Das erste Bild ist menschenleer, rechts ist ein alter Ford Taunus zu erkennen, hinten steht ein weiteres Fahrzeug. Die folgenden drei Fotos könnten am gleichen Schauplatz entstanden sein. Ein Frau blättert im Schein einer Neonröhre in einem Buch und wird erst von einem, dann von zwei Männern dabei beobachtet. Versucht sie sich anhand des Buches zu orientieren? Als Frontispiz dient ein kleinformatiges Interieur mit dem Untertitel Valby 1958, stammt also aus einem Viertel, das an Vesterbro angrenzt und die persönliche Lebenssituation Clements andeuten könnte. Nach dem Innentitel mit Impressum und dem „Vorwort“ mit dem Hinweis auf Vesterbro umkreist die Kamera das Saga, wie es in seiner ganzen architektonischen Schäbigkeit mit seiner ungeschlachten Backsteinfassade zwischen Hinterhäuser eingeklemmt ist. Innen gibt es einen nüchternen, im Stil der Nachkriegsjahre eingerichteten Saal, in dem Illusionen Made in Hollywood verkauft wurden. Clement nimmt den Betrachter dann mit auf die Straßen des billigen Viertels, wo kuriose Läden und schummerige Pornoschuppen auf die offenbar nicht allzu solvente Kundschaft warten. Die farbige Flamme eines Gasherds spendet weder Wärme noch Trost, denn gegenüber sieht man Utensilien aus dem Drogenmilieu. Das Kino gibt den Rahmen, das Rotlichtviertel das Herz des Buches. Seltsam, dass man dabei immer die schüchterne Perspektive eines am Rande Beteiligten einnimmt, aber nie die eines Voyeurs. Ganz am Ende kommt Clement wieder auf das Kino zurück, man erkennt es an der narbigen Struktur der Backsteinfassade wieder. Das allerletzte Bild des Buches ist eine Nachtaufnahme einer Baustelle – ein hoher Kran deutet das Schicksal des Viertels an. Das war´s, der Buch-Film ist aus. Und man bleibt fröstelnd und in melancholischer Stimmung zurück.

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Man kennt eine ähnliche Geschichte vielleicht vom Bahnhofsviertel der eigenen Stadt, durch Sanierung und sonstigem Wandel aufgehübscht, aber seelenlos. Clement war über Jahre getrieben, diese Fotos zu machen. Jetzt hat er zusammen mit Sven Reiner Johansen die Form gefunden, aus dem Material und zu diesem Thema ein Fotobuch zu gestalten, das einmal mehr Maßstäbe im Genre der Bilderzählung setzt.

  • Titel: Bag Saga Blok
  • Untertitel: 
  • Bildautor: Krass Clement
  • Textautor: 
  • Herausgeber: 
  • Gestalter: Sven Reiner Johansen, Krass Clement
  • Verlag: Gyldendal
  • Verlagsort: Kopenhagen
  • Erscheinungsjahr: 2014
  • Sprache: dänisch
  • Format: 
  • Seitenzahl: 224
  • Bindung: illustriertes Halbleinen
  • Preis: 499,95 Dänische Kronen
  • ISBN: 978-87-02-16816-7

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