Hüllen der Leere

Sabine von Breunig fotografiert ein verfallendes Militärareal

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Es geht um das Verschwinden. Ein riesiger ehemaliger Militärkomplex im Süden Berlins, im Dreieck der Ortschaften Kummersdorf, Zossen und Wünsdorf, hat sich in eine Geisterstadt verwandelt. Verfallende Interieurs, abblätternder Putz, zerbröselnde Wände, zerstörte Reste von Einrichtungsgegenständen, schimmelnde, dunkle, feuchte Bunkeranlagen, Reste von Wandbemalungen der sowjetischen Armee: dass dieses Gelände ein fotografisches Faszinosum darstellt, ist klar. Die Anfänge gehen auf Kaiser Wilhelm zurück, der hier ein Militärübungsgelände errichten ließ. Im Zweiten Weltkrieg war dort das Oberkommando des Heeres stationiert und nach 1945 das Oberkommando der sowjetischen Streitkräfte. Sabine von Breunig, Meisterschülerin Arno Fischers, geht systematisch vor, um das alles zu erfassen. Das Buch ist wie ein Rundgang aufgebaut. Sie konzentriert sich auf die Innenräume als Hüllen der Leere, ohne in platter Ruinenromantik zu schwelgen. Nur wenige Räume erinnern noch an die ehemalige Nutzung. Dass hier abertausende über mehrere Generationen in Lohn und Brot standen, ist kaum mehr nachvollziehbar. Beim Blättern macht sich bei all den leeren Wänden alsbald eine gewisse Eintönigkeit breit. Seltsam: Die Außenansichten wurden auf winzige Formate reduziert und auf neun Seiten am Ende des Buches zusammengedrängt, als gehörten sie nicht dazu.

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„Jeder, der diese Bilder heute sieht, wird ganz unterschiedliche Erfahrungen und Erinnerungen in ihnen lesen, schreibt Matthias Flügge im Vorwort. Wirklich? „So wird die Leere in den Bildern nicht nur zur Metapher der Anwesenheit, sondern auch zu einem Sinnbild des Vergessens.“ In der Tat: Jene, die diese Gebäude einst bevölkert haben, sind mit all ihren Erinnerungen in die Staaten der ehemaligen Sowjetunion verschwunden. Allen anderen war der Eintritt verwehrt: dieses Gelände war ja Sperrgebiet, das auf keiner Karte verzeichnet war und offiziell nicht existierte. Von daher zielt von Breunigs Buch selbst gewissermaßen ins leere Zentrum des Vergessens.

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An welche Adressaten richtet sich dieses Buch also? Vielleicht an ambitionierte Historiker. Denn um diese Leerstelle in unserem historischen Gedächtnis zu tilgen, müssten Zeitzeugen – ehemalige Soldaten, Bedienstete – aufgesucht und befragt werden. Auch Archivrecherchen wären unvermeidlich. Vielleicht gibt Sabine von Breunig mit ihren Bildern den Impuls zu einer solch intensiven historischen Auseinandersetzung. Dass dann wieder ein Fotobuch entstehen würde, ist allerdings kaum anzunehmen.

 

  • Titel: Geisterstadt
  • Untertitel: Sperrzone Zossen/Wünsdorf
  • Bildautor: Sabine von Breunig
  • Textautor: Matthias Flügge
  • Herausgeber: 
  • Gestalter: Daniel Borck / Research Studios
  • Verlag: Edition Braus
  • Verlagsort: Berlin
  • Erscheinungsjahr: 2012
  • Sprache: deutsch
  • Format: 
  • Seitenzahl: 160
  • Bindung: Illustriertes Hardcover
  • Preis: 36 Euro
  • ISBN: 978-3-86228-043-8

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