Jenseits der Kriege

Stanley Greene über die Lebenskrisen eines Kriegsfotografen

Cover

Manchmal reicht ein Augenblick, um ein ganzes Leben zu verändern. Bei Stanley Greene passierte es an einem Tag im Jahr 1993. Sein Job als Modefotograf: öde, oberflächlich, längst passé. Seine ersten Versuche als Fotojournalist für Zeitungen und Magazine: noch tastend, unsicher, ungefähr. Seine Frau: für immer auf und davon. Resignierte Greene etwa, strauchelte er? Mitnichten. „Anstatt Alkoholiker zu werden, zog ich los und fotografierte Kriege”, so lautet Greens lakonische Sentenz. Nachzulesen ist diese in „Black Passport”, seinem düsteren „Journal eines Kriegsfotografen”. Als Betrachter merkt man schnell: In diesem Leben gibt es seither keine Ruhepause mehr. 1993: Südsudanesische Rebellen putschen das Regime; ein ganzes Dorf wird ausgelöscht. Schnitt. 1994: In Ruanda begehen Hutus an Tutsis Völkermord; mehr als 800.000 bestialisch massakrierte Opfer schockieren die Welt. Schnitt. 2004: Aufständische Iraker schlagen zurück. Greene fotografiert die Leichen von grausam geschändeten Blackwater-Söldnern. Filmriss. Das Trauma: „An jenem Tag habe ich etwas verloren, und ich wusste, ich würde es nie wieder bekommen.” Doch kann Greene eigentlich noch zurück? Nein, denn schon geht es weiter: nach Tschetschenien, Afghanistan, Irak, Libanon und Tschad.

So filmisch, so rasant, und so atemlos wie diese exemplarischen Sequenzen ist die Erzählweise des gesamten Buchs. Aber das stilistische Risiko liegt ganz woanders. Das Buch ist beileibe kein Best-of von Greens Kriegsfotografien, sondern eher eine sehr persönliche Befragung des eigenen Lebens. Was macht es mit einem Menschen, der ständig Zeuge von Mord und Gewalt ist? Wem kann er sich mitteilen? Ist eine Liebesbeziehung möglich? Das Buch blättert Greens Leben auf. Auf Reportagefotos aus Kriegsgebieten folgen Fotos von seinen Gefährtinnen; aus den beigefügten tagebuchartigen Notizen erfährt man, wie unendlich mühsam es ist, beide Welten zusammenzubringen. Dass diese Melange nicht geschmacklos oder obszön wirkt, liegt an der ernsten Tonlage – und der mühsamen Arbeit an diesem Journal. Über drei Jahre hinweg, interviewte der Publizist Teun van der Heijden den New Yorker Fotografen, sichtete Fotos und Material und traf eine Auswahl daraus. Polaroids, Kontaktstreifen, Panoramaaufnahmen, szenische Fotografien, Porträts, in Farbe und schwarz-weiß, fügen sich so zu einer rauen, skizzenhaften Collage zusammen.

Gut nachvollziehbar wird der immerwährende Konflikt: ausgelaugt und müde vom Krieg sucht Greene Halt bei Frauen – und hält es doch mit keiner aus. Al, Anna, Vika: Die Reihe der Frauen ließe sich fortsetzen. Am Ende stehen: sieben Hoffende, sieben Zurückgelassene. Stanley Greene schont sich indes nicht: Hier zeigt sich einer, der seinen Lebensentwurf ständig hinterfragt. Und trotz selbstkritischer Züge auch ein Scheusal ist. Der Tod seiner Mutter? Stanleys Auftrag geht vor. Die kranke Freundin in Paris? Stanley haut nach Afghanistan ab.

Von seinem Leben kann er nicht lassen, sein Wissensdrang treibt ihn an, immer auf der Suche nach der wahren Geschichte hinter den Nachrichten. Gibt es so etwas wie Vorbilder für Greene? „Hubert Selby Jr., Charles Bukowski, William S. Burroughs waren Geschichtenerzähler. Wegen dieser Menschen, die ihr Leben dicht am Abgrund geführt haben, ist die Welt reicher.” Wo bezieht er sein berufliches Ethos her? Tina Modotti und Eugene Smith scheinen ihm durchaus wesensverwandt. Ist er sich des Risikos eigentlich bewusst? Es scheint so: „Wie weit ist man bereit, den Einsatz zu erhöhen. Ich meine, um mit den Olympischen Spielen oder der Scheidung von Charles und Diana zu konkurrieren und dann noch lebend davonzukommen.”

Letztlich ist es zu einfach, Kriegsfotografen als pure Abenteurer oder Voyeure zu verunglimpfen. Bei Greene spricht ein humanistisches Weltbild und politisches Engagement dagegen. „Es geht darum zu verstehen, warum die Menschen sich so verhalten, wie sie es tun. Und manchmal kann man das nur herausfinden, wenn man da hingeht, wo es geschieht”. Dem kann man schwerlich etwas entgegensetzen.

  • Titel: Black Passport
  • Untertitel: Journal eines Kriegsfotografen
  • Bildautor: Stanley Greene
  • Textautor: Stanley Greene, Teun van der Heijden (Nachwort)
  • Herausgeber: Teun van der Heijden
  • Gestalter: Heijdens Karwei
  • Verlag: Benteli
  • Verlagsort: Bern
  • Erscheinungsjahr: 2010
  • Sprache: deutsch
  • Format: 
  • Seitenzahl: 288
  • Bindung: Softcover mit illustrierter Bauchbinde
  • Preis: 49,80 Euro
  • ISBN: 978-3-7165-1607-2

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