Kassel unentschieden

Ein „fotografischer Entwurf einer historischen Architektur“

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Nach langer Zeit ergibt sich die Gelegenheit, ein Fotobuch über Kassel vorzustellen. Dessen Untertitel „fotografischer Entwurf einer historischen Architektur“ wirft Fragen auf. Es ist sicherlich nicht einfach, eine adäquate Bildsprache für die in Kassel trotz Kriegszerstörung, Wiederaufbau und Investoreneingriffe durchaus noch reichlich vorhandene historische Architektur zu finden, unter der sogar ein Stück Weltkulturerbe vertreten ist. Warum sich der ohne Frage versierte, 1969 in Kassel geborene und jetzt in Berlin lebende Fotograf und Architekt Maximilian Meisse dieser Aufgabe unbedingt stellen und warum daraus unbedingt ein Buch entstehen musste, bleibt allerdings genauso offen wie die Zielgruppe, an die sich Meisses Arbeit richtet. Die Kasseler? Entdecken nichts Neues. Architekturliebhaber oder Architekturkritiker? Dazu sind die Fotos nicht pointiert genug; Ironie, Kritik oder pures Staunen über die Schönheit der Objekte sucht man vergebens. Denkmalpfleger? Die bevorzugen für ihre Zwecke eine andere, klarere Ästhetik. Fotobuchfreunde? Die würden sich eine weniger konventionelle Gestaltung von Buch und Bildern wünschen.

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Meisse versuchte auffallend häufig, durch das Hereinnehmen eines Vordergrundobjektes, das sich von rechts oder links ins Bild schiebt, das Objekt im Hintergrund zu kontextualisieren. Oder umgekehrt, der Hintergrund kontextualisiert die Randbereiche. Was bedeutet das? An bestimmten Straßenecken Kassels stehen tatsächlich noch zwei oder mehr historische Bauten zusammen oder sich gegenüber. Wer hätte das gedacht! Auf diese Weise wird das Einzelobjekt einem mal historisch schlüssigen, mal beliebigen Kontext untergeordnet. Selten entsteht so eine visueller Mehrwert wie beim Milchhäuschen am Mulang mit dem Schloss Wilhelmshöhe im Hintergrund (S. 90/91). Hier fand tatsächlich zusammen, was zusammen gehört. Ist dieses Zusammenfinden nun das Thema des Buches? Untertitel und Vorwort des Buches legen nahe, dass der Fotograf gerade dazu eine Aussage machen will.

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Details zeigen, dass der Fotograf es eilig hatte. Die zuweilen am Rande auftauchenden Autos mögen unvermeidlich sein, aber zu oft stören sie die Konzentration auf die städtebaulichen Situationen oder wurden nicht wirklich als den Stadtraum gestaltendes Element einbezogen. Meisse hat Kassel bei überwiegend sonnigem Wetter fotografiert, ob es passte, oder nicht, und auf S. 80 und 81 seltsam unmotiviert zwei Schwarzweißbilder von Schloss und Ballhaus Wilhelmshöhe in den sonst bunten Reigen eingefügt. Ganze, gerade für sein Thema durchaus spannende Stadtviertel hat der Fotograf ignoriert.

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Meisses Konzept reißt nicht mit, den Bildern fehlt entweder das Eintreten für eine architektonische bzw. städtebauliche Qualität oder es fehlen die optischen Widerhaken, die einen kritischen Ansatz auszeichneten. Das Buch bleibt damit seltsam oberflächlich, beliebig und unentschieden. Der bemüht wirkende Bildband füllt keine schmerzhaft empfundene Lücke, wird ein Dasein als lokalpatriotisches Verlegenheitsgeschenk fristen und dürfte, die lokalen Sponsoren werden es nicht gerne hören, kaum die Chance haben, eine nachhaltige Karriere als Antiquariatsrarität zu machen.

  • Titel: Kassel
  • Untertitel: Fotografischer Entwurf einer historischen Architektur
  • Bildautor: Maximilian Meisse
  • Textautor: Dirk Boll
  • Herausgeber: 
  • Gestalter: Nicolaus Ott, Maximilian Meisse
  • Verlag: Ernst Wasmuth Verlag
  • Verlagsort: Tübingen
  • Erscheinungsjahr: 2018
  • Sprache: deutsch
  • Format: 
  • Seitenzahl: 96
  • Bindung: Illustriertes Hardcover
  • Preis: 29,80 Euro
  • ISBN: 978 3 8030 3404 5

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