Leben und Sterben in „Toxic City“

Pieter Hugo fotografierte die Bewohner der ghanaischen Elektromüll-Deponie Agbogbloshie

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Wenn Ibrahim Sulley aufwacht, gleiten seine Augen über ausrangierte Kühlschränke, defekte Fernseher und kaputte PCs. Seine Tage und Nächte verbringt Sulley in Agbogbloshie, der größten Elektromüll-Deponie in Ghana, Westafrika. Über sechseinhalb Tonnen des giftigen elektronischen Schrotts erreichen Monat für Monat das Land, und ein Vielfaches davon landet in Toxic City – dem Synonym für Agbogbloshie.

Sulleys Überlebensmittel ist der Schrott. Aber nicht nur seins. Zarte Mädchen und Jungen arbeiten in Toxic City ebenso wie kraftstrotzende junge Männer. Die Älteren zertrümmern die Geräte, zünden sie an und gelangen so an den Schatz, der sich im Inneren verbirgt: Drähte, Chips und Platinen, die wertvolle Metalle wie Kupfer enthalten, und deren Verkauf einige Dollar einbringt. Die kleineren Jungs sammeln auf, was am Boden liegen bleibt. Die Mädchen schließlich reichen Wasser umher.

Der Mikrokosmos in Toxic City ist zu trauriger Berühmtheit gelangt. Umweltaktivisten, Menschenrechtler, Journalisten und Bildreporter waren hier. Auch den Fotografen Pieter Hugo zog es mehrfach an diesen apokalyptischen Ort. Jetzt ist seine fotografische Arbeit unter dem Titel “Permanent Error“ als Fotobuch erschienen. Die Fotos des 35-jährigen Südafrikaners setzen sich auffällig von der Reportagefotografie seiner Berufskollegen ab. Pieter Hugos Fotos sind ungleich dezenter, behutsamer und subtiler angelegt. Mal sieht man die Müllhalde menschenleer unter einer neblig-grauen Dunstwolke liegen. Dann wiederum hantiert eine Gruppe Jungs am offenen Feuer herum. Auf nüchterne Fotos von zerfetzten Geräten folgen fesselnde Porträts der juvenilen Müllwerker.

Wie sieht deren Leben in Agbogbloshie aus? – Die Fotos geben Hinweise darauf. Fußball ist auch in Toxic City populär, wie das aus Latten gezimmerte Tor verrät. Das Gebet ist wichtig, auch an diesem Höllenort ziehen sich die Jungs dazu die Schuhe aus. Bunte Drops sind bei allen beliebt. In den kümmerlichen Bretterverschlägen wird nie gelesen, aber viel geschlafen. Staunenswert ist die Würde, mit der Jungs wie Sulley zeigen, was ihr Leben ausmacht. Wissen sie, dass die Arbeit in Agbogbloshie sie umbringen wird? Selbst Rinder und Ziegen sind hier, am Ende der Welt, irritierend ruhig: Träge liegen sie im Müll, während hinter ihnen giftige dunkle Rauchwolken aufsteigen.

Agbogbloshie dürfte es eigentlich nicht geben. Es existieren Verträge, die es der Ersten Welt verbieten, ihren Elektromüll in der Dritten Welt abzuladen. Der Essay von Jim Puckett, der im hinteren Teil des Buches abgedruckt ist, gibt die ernüchternde Erklärung, warum dies dennoch nicht reicht.

Pieter Hugo, der sich bereits in seinen vorhergehenden Fotobüchern Nollywood (2009) und The Hyena & Other Men (2007) mit bizarren afrikanischen Lebensgemeinschaften und Subkulturen beschäftigte, hat mit seinem aktuellen Buch zu einem neuen Ernst gefunden. Afrika ist nun keine exotische, fremde Welt mehr, über die der distanzierte westliche Betrachter herablassend zu urteilen vermag. Was kann Pieter Hugo mit seinem Buch im besten Fall erreichen? Er macht bewusst, wie der Wohlstand des Westens mit der Armut und dem Leiden der Afrikaner zusammenhängt – und dies ohne zu agitieren oder den Betrachter plump zu überwältigen.

 

  • Titel: Permanent Error
  • Untertitel: 
  • Bildautor: Pieter Hugo
  • Textautor: Jim Puckett
  • Herausgeber: 
  • Gestalter: 
  • Verlag: Prestel
  • Verlagsort: München
  • Erscheinungsjahr: 2011
  • Sprache: englisch
  • Format: 
  • Seitenzahl: 112
  • Bindung: illustriertes Halbleinen
  • Preis: 39,95
  • ISBN: 978-3-7913-4520-8

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