Macht aus dem Staat Gurkensalat!

Graffiti im Zürich der 1970er-Jahre

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Ein Buch ohne Innentitel, bei dem das Vorwort auf Seite 554 beginnt? Ungewöhnlich wie der Inhalt, denn bei diesem dicken Katalog geht es um kreative kriminelle Graffiti in Zürich.

Eine Bildkartei von Spontisprüchen, die illegalerweise auf Fassaden, Schaufenster, Mauern oder Autos gemalt und gesprüht wurden, hatte die Züricher Stadtpolizei angelegt und, weil offenbar hinsichtlich des Straftatbestandes verjährt, jetzt für ein Buchprojekt zugänglich gemacht. Die Autoren, darunter mit Jules Spinatsch ein renommierter Fotokünstler, fassten das Bildmaterial chronologisch und nach Tatorten sortiert zusammen. Oft sind mehrere Bildseiten einem einzigen Vorfall gewidmet; ein doppelseitiges Großformat zeigt die Gebäudesituation, kleinere Detailabbildungen sind den eigentlichen, zuweilen mit roten Pfeilen markierten Sprüchen, Zeichen, Grafiken und sonstigen Interventionen gewidmet. Deren Themenspektrum reicht von Straßenbauprojekten über Widerstand gegen Atomkraft bis hin zu allgemeinen Kommentaren zu Politik, Schule und Gesellschaft. Am Ende steht nicht nur eine lange Liste der Tatorte und Vorfälle, sondern auch noch ein Glossar der Anlässe. Diese waren oft nur von lokaler Bedeutung oder sind längst vergessen. Zudem geben die Autoren einen Einblick in die spezielle Züricher Situation mit dem historischen Bezugspunkt Harald Naegeli, der als „Sprayer von Zürich“ in die (Kunst-)Geschichte eingegangen ist.

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Das Buch hat einen hohen Unterhaltungswert, obwohl oder gerade weil die polizeiamtlichen Fotografen mit großer Nüchternheit keine schöne, sondern beweiskräftige Bilder, es ging ja um Sachschäden, aufgenommen haben. Dies geschah selbstverständlich damals noch in Schwarzweiß und so passt eines zum anderen, betonierter Brutalismus zu kritischen Spontisprüchen, akribische Bürokratenarbeit beim Dokumentieren zur Lust, den Polizeifotografen immer wieder neue Motive zu bieten. Das Katz- und Maus-Spiel in den Städten läuft bis heute. Wenn die Arbeit an den Fassaden und die aufwändige amtliche Spurensicherung überhaupt etwas gebracht haben sollte, dann immerhin das: nämlich das Material für dieses Fotobuch zu schaffen.

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  • Titel: Schmieren / Kleben
  • Untertitel: Aus dem Archiv KK III der Stadtpolizei Zürich 1976–1989
  • Bildautor: (Bildmaterial aus dem Stadtarchiv Zürich)
  • Textautor: Philipp Anz, Jörg Scheller, Richard Wolff
  • Herausgeber: Philipp Anz, Jules Spinatsch, Viola Zimmermann
  • Gestalter: Viola Zimmermann mit Jules Spinatsch und Eva Wolf
  • Verlag: Edition Patrick Frey
  • Verlagsort: Zürich
  • Erscheinungsjahr: 2018
  • Sprache: deutsch
  • Format: 32 x 23 x 3,5 cm
  • Seitenzahl: 593
  • Bindung: illustriertes Softcover, Fadenheftung
  • Preis: 70 Euro
  • ISBN: 978-3-906803-61-6

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