Man meint, den Halt zu verlieren

Regina Schmeken hat die Tatorte des NSU fotografiert

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Wer sich Regina Schmekens Schwarzweißfotografien in diesem Band ganz unvoreingenommen und ohne Vorwissen anschaut, könnte verwundert sein. Denn die Bilder zeigen eigentlich nichts, um nicht zu sagen das Nichts: Es sind alltägliche Orte und Plätze, Ladenfronten, Straßenzüge, Hauseingange, Parkplatzecken oder eine leere Festwiese. Es sind keine schönen Plätze, vielmehr Unorte, bisweilen etwas heruntergekommene Orte, wie es sie überall gibt in Städten und Dörfern und die schon vielfach als Thema fotografiert wurden, erinnert sei etwa an die Becher-Schule. Aber Schmeken, seit 1986 Hausfotografin der Süddeutschen Zeitung, wollte nicht die Trostlosigkeit von Stadtlandschaften an sich dokumentieren. Ihre Aufnahmen zeigen zwölf Orte in deutschen Städten, an denen zehn Menschen von dem Mördertrio des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) um Beate Tzschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt hingerichtet und Dutzende durch zwei Bombenanschläge schwer verletzt wurden. Entstanden sind die Bilderserien 2013 und 2015/2016. Vor drei Jahren wurde die Serie von Hatje Cantz, in Halbleinen gebunden, erstveröffentlicht. Die Bundeszentrale für Politische Bildung hat nun einen preiswerten Sonderband als Paperback veröffentlicht. Lediglich dessen dem Layout der Bundeszentrale angepasster Umschlag unterscheidet sich vom Original, ansonsten ist der Band identisch zur Verlagsausgabe. Eine Ausstellung mit großformatigen Abzügen tourt durch alle zehn Städte. Noch bis zum 8. September ist sie im Kasseler Stadtmuseum zu sehen.

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Blutiger Boden– mit diesem Titel spielt Schmeken auf die Blut-und-Boden-Ideologie der Nazis an und immer wieder richtet sie die Kamera ganz besonders auf den Boden vor den Anschlagsorten. Durch gekippte Achsen und stürzende Linien gelingt ihr auf beklemmende und subtile Weise ein Unbehagen, eine Unsicherheit zu erzeugen. Der Boden scheint wegzurutschen, man meint, den Halt zu verlieren, die Sicherheit einzubüßen. Jeder „normale“ Ort, so der Subtext, kann jederzeit zum Tatort hasserfüllter Verbrechen von rechtsextremen Terroristen werden. Hier wurden unschuldige Menschen mit Kopfschüssen aus nächster Nähe hingerichtet oder durch Bomben körperlich und seelisch schwer misshandelt. Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru, Süleyman Taşköprü, Habil Kilic, Mehmet Turgut, İsmail Yaşar, Theodorus Boulgarides, Mehmet Kubaşik, Halit Yozgat, Michèle Kiesewetter: Sie alle fehlen auf den Bildern. Der Schriftsteller Feridun Zaimoglu bringt es in seinem Beitrag in dem Band auf den Punkt: Schmeken habe mit ihren Bildern „diese grauenhafte Leere eingefangen“. Umso wichtiger, dass sowohl die Ausstellung als auch die preiswerte Neuauflage an die Opfer dieser ungeheuerlichen Mordserie erinnern und hoffentlich von einem großen Publikum wahrgenommen werden.

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Regina Schmeken bei einer Führung in ihrer Ausstellung im Stadtmuseum Kassel (29.8.2019, Foto TW)

Regina Schmeken bei einer Führung in ihrer Ausstellung im Stadtmuseum Kassel (29.8.2019, Foto TW)

Die weiterhin erhältlich Verlagsausgabe von 2016.

Die noch (zum Sonderpreis) erhältliche Verlagsausgabe von 2016

  • Titel: Blutiger Boden
  • Untertitel: Die Tatorte des NSU
  • Bildautor: Regina Schmeken
  • Textautor: Gorch Pieken, Feridun Zaimoglu, Hans Magnus Enzenzberger, Barbara John, Annette Rammelsberger, Katja Protte, Regina Schmeken
  • Herausgeber: 
  • Gestalter: Naroska
  • Verlag: Bundeszentrale für politische Bildung (Lizenz Hatje Cantz)
  • Verlagsort: Bonn
  • Erscheinungsjahr: 2019
  • Sprache: deutsch
  • Format: 22 x 30,5 cm
  • Seitenzahl: 132
  • Bindung: Paperback
  • Preis: 7 Euro
  • ISBN: 9873742501240 (Verlagsausgabe: 978-3-7757-4158-3)

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