Nackter Schrecken

Christoph Bangerts beklemmende Reportage „Irak-Schweigendes Land“

Bangert

Eine grüne geschwungene Rutsche aus Eisen auf einem vertrockneten Rasenstück. Kein Kind weit und breit. Das verwaiste Gestell wirkt wie ein Versprechen auf eine bessere Zukunft mit ausgelassen spielenden Kindern unter freiem Himmel. Jetzt taugt das Gestell nur als trauriges Symbol für das Leiden eines Landes, dem das Leben abhanden gekommen und an dessen Stelle der nackte Schrecken getreten ist.

Christoph Bangert (Jg. 1978) ging im Frühjahr 2005 für die New York Times in den Irak, zu einem Zeitpunkt, als die Sicherheitslage katastrophal war, weil Aufstände und religiöse Gewalt einen ersten Höhepunkt erreichten. Was er bis Anfang 2007 im Irak gesehen und mit der Kamera festgehalten hat, schreit zum Himmel, aber es scheint, als würde das Irakische Volk den Terror, die Demütigungen und das Leid still ertragen und sich in sein Schicksal fügen. Der Titel, „Irak – Schweigendes Land“ drückt genau das aus.

Bangert ist kein Action-Fotograf. Man ahnt, dass Angst und Entsetzen auch seine ständigen Begleiter waren. Das verleiht seinen Farbfotos ein großes Maß an Disziplin. Effektvolle Ästhetisierung des Schreckens ist seine Sache nicht. Seine Bilder wirken wie eingefrorene Stillleben des Grauens, der Ängste, der Desillusionierung und der Trauer.

Zwei GI´s schauen über eine Lehmmauer, dahinter nur der Kopf eines Kamels auftaucht. Leichte Untersicht. Trägt das Tier eine Bombe? In diesem – man möchte sagen, fast bescheidenen – Kriegsfoto kulminiert die quälende Angst der Soldaten. Was wird gleich passieren? Passiert überhaupt etwas? Können wir es wagen, den Kopf zu heben und über die Mauer zu schauen, oder werden wir dann zerfetzt?

Die Bilder schweigen. Bangert hat auf Bildunterschriften ebenso verzichtet wie auf deklamatorische Anklagen. Erst im Anhang finden sich journalistisch nüchterne Erläuterungen – wann und wo ist die jeweilige Aufnahme entstanden, welche Situation ist festgehalten, in welchen Zusammenhängen steht sie. Die rund 80 Bilder sind die Anklage. Ihre Wirkung lässt sich durch Rhetorik nicht mehr steigern.

Die in Decken gehüllten toten Kinder auf dem Krankenhausfußboden. Die weggeworfene männliche Leiche auf einer Müllkippe. Der schmerzerfüllte Blick eines alten nackten Mannes direkt in die Kamera. Ihm hing die Haut in Fetzen, er hatte keine Chance. Und dann Doppelseiten wie diese: Links ein einfacher einsamer Holzsarg im gekachelten Leichenschauhaus von Bagdad, rechts ein einfacher einsamer gedeckter Tisch in einem Militärkasino. Die Menschen sind entweder tot oder nicht da.

  • Titel: Irak - Schweigendes Land
  • Untertitel: 
  • Bildautor: Christoph Bangert
  • Textautor: Jon Lee Anderson
  • Herausgeber: 
  • Gestalter: 
  • Verlag: Fackelträger
  • Verlagsort: Köln
  • Erscheinungsjahr: 2008
  • Sprache: deutsch
  • Format: 
  • Seitenzahl: 128
  • Bindung: Hardcover, Schutzumschlag
  • Preis: 29,95 Euro
  • ISBN: 9783771643690

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