Ohne Licht kein Bild

Rinko Kawauchi fotografiert eine leuchtende Welt

titel_2318

Bei Licht betrachtet sehen manche Dinge tatsächlich schöner aus. Entweder, weil man sie glasklar erkennt oder weil erst das Licht ihre eigentliche Schönheit entwickelt. Glassplitter zum Beispiel funkeln dann wie Diamanten. Diesem und anderen Effekten folgt Rinko Kawauchi in ihrem Buch Illuminance, für das sie Bilder aus 15 Jahren fotografischer Arbeit zusammengestellt hat. Zum Glück bleibt sie dabei nicht in der Darstellung erhabener Naturerscheinungen haften, sondern zeigt die ganze Bandbreite unserer beleuchteten Welt.

Ihre Motive findet sie im Alltag. In quadratischen Ausschnitten holt sie Unspektakuläres ans Licht und lädt Nebensächliches mit Bedeutung auf. Hier flattert eine Gardine harmlos im Wind, dort liegt ein Frosch hilflos auf dem Rücken. Oft rückt sie den Dingen so unverschämt nahe, dass unsicher bleibt, was sie eigentlich darstellen. Sie fixiert genau den Punkt der Verwandlung, die Schnittstelle zwischen zwei Zuständen. Das ist zwar manchmal unheimlich, verleiht aber selbst Gegenständen eine Seele und macht sie lebendig.

In ihrem Buch kontrastiert Kawauchi Motive, Farben und Formen oder folgt den Gesetzen der Ähnlichkeit, ohne mit Wiederholungen zu langweilen. Der Erzählfluss stagniert nie. Jedes neue Bild weckt neue Gedanken, birgt ein neues Erlebnis oder weist zurück auf vorige Seiten. Dieses Vorgehen ist charakteristisch für die Japanerin, die in den letzten zehn Jahren zwölf Bücher veröffentlicht hat. Diesmal ist es Illuminance, die Beleuchtungsstärke, die sie interessiert. Und so wechselt je nach Lichtintensität das Ausmaß des Sichtbaren. Mal dunkel und schwerelos, mal durchleuchtend oder blendend spielt das Licht seine Möglichkeiten aus: Es macht blind oder sichtbar, lässt Farben aufscheinen oder erblassen, erzeugt Wärme oder verbrennt.

Die assoziative Reihung der Fotografien schafft Geschwindigkeit, die beim Blättern durch das Buch einen Rhythmus erhält. Ab und zu muss man pausieren, um eine Doppelseite genauer in Augenschein zu nehmen. Hier treffen Welten aufeinander von stimmungsvollen, nahezu werbefotografischen Bildern bis hin zu hart ausgeleuchteten realistischen Aufnahmen. Die persönliche Ikonographie der Autorin ist dennoch deutlich zu erkennen. Kinder, Tiere und Pflanzen bezeugen immer wieder Vergängliches.

Gedruckt sind die Abbildungen auf mattem, leicht naturweißem Papier. Die japanische Bindung verhindert das Durchscheinen der rückseitigen Bilder. Reflexionen und Transparenzen, wie sie auf den Fotografien Thema sind, werden durch diese Materialwahl unterbunden. Das erweist sich als sinnvoll, ermöglicht es doch eine größere Nähe zum Bild und eine Betonung seiner „malerischen“ Qualitäten.

Mit ihrer ersten Veröffentlichung außerhalb Japans schafft Rinko Kawauchi einen leuchtenden Kosmos, der immer in der Schwebe bleibt und doch die Balance hält. Zwischen zwei Aufnahmen der Sonnenfinsternis vermitteln ihre wunderbar kombinierten Fotografien die bekannte Wahrheit, dass es ohne Licht keine Bilder gibt. Auch diese hier nicht. So erzählt Rinko Kawauchi ihre Geschichte vom Licht. Eine glänzende Geschichte.

  • Titel: Illuminance
  • Untertitel: 
  • Bildautor: Rinko Kawauchi
  • Textautor: David Chandler
  • Herausgeber: Lesley A. Martin
  • Gestalter: Studio Bear
  • Verlag: Kehrer
  • Verlagsort: Heidelberg
  • Erscheinungsjahr: 2011
  • Sprache: deutsch
  • Format: 
  • Seitenzahl: 176
  • Bindung: Leinen mit Japanbindung
  • Preis: 39,95
  • ISBN: 978-3-86828-202-3

Eine Antwort zu Ohne Licht kein Bild

  1. Ein wunderbar poetischer Text, der die Poesie der Fotografien in Sprache übersetzt.