Sofa-Odyssee

Amerika um 1900 in Farbe in einem riesigen Bildband

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Eine Odyssee ist das Synonym für eine Irr-Fahrt, für das Durch-die-Welt-Geworfensein eines Helden, der große Abenteuer zu bestehen hat und Ungeheuerliches erlebt, bevor er endlich die Heimreise antritt. Eine amerikanische Odyssee? Diese hier kommt eher als visuell-beschaulicher Sofa-Trip von Ost nach West daher. Das kiloschwere, dreisprachige Buch zeichnet im Riesenformat mit hunderten Fotos ein höchst malerisches Bild der USA um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Die Aufnahmen stammen allesamt aus der Bilderschmiede der Detroit Photographic Company (DPC), die Ende der 1880er Jahre gegründet und 1905 in Detroit Publishing Company umbenannt wurde. Grundlage bildet die Sammlung des Herausgebers Marc Walter, der in einem knappen einführenden Essay die Geschichte der DPC umreißt.

Der Clou: Die allermeisten Fotos sind farbig. Es handelt sich indes nicht um Autochrome, sondern um Fotochrome. Bei diesem lithografischen Verfahren, das 1889 von der Zürcher Druckerei Orell Füssli erfunden wurde, konnten Schwarz-Weiss-Negative mit bis zu 12 Farben ergänzt und erstmals seriell in großen Auflagen hergestellt werden. Die DPC erkannte das Potenzial, das in diesem jungen Verfahren steckte. Sie schickte ihre Fotografen aus, um auch den letzten Winkel der USA abzulichten. Die Bilder erschienen als Postkarten und riesige Drucke, sog. „Mammoths“. Hauptkunden waren Touristen, die auf den Spuren der Pioniere und auf sicheren Pfaden nach und nach das unermessliche Land westwärts bereisten, seine landschaftlichen Reize entdeckten und Erinnerungen mit nach Hause nehmen bzw. anderen so mitteilen wollten, was sie gesehen hatten.

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Bei Postkarten geht es vor allem um das Ich-war-hier. Totale und Zentralperspektive sind die hervorstechenden Merkmale der Postkartenfotografie – es muss einfach viel zu sehen sein, wogegen belebte Szenen eher selten sind. Porträts von Indianern und Cowboys bieten allenfalls malerische Folklore und die Schwarzen erscheinen als nette, herausgeputzte Bewohner auf den idyllischen Anwesen der Baumwollkönige bzw. als exotisches Beiwerk auf den Straßen von New Orleans. Die Realität sah bekanntlich anders aus.

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Hauptattraktion der DPC-Drucke ist ihre Farbigkeit, eine Farbigkeit, die vorgibt, fototechnisch erstmals ein „wahres“ Abbild der (amerikanischen) Realität um 1900 zu vermitteln. Erstaunlicherweise setzen Verlag und Herausgeber noch heute auf dieses Pferd. Was die damaligen Betrachter in Erstaunen versetzt haben mag, weil sie noch nicht in einer unserer Gegenwart vergleichbaren Bilderflut ersoffen sind, reizt uns allerdings nur noch wenig. Als Gebrauchsgegenstände wurden diese Postkarten nicht dafür gemacht, um in dickleibigen Folianten en masse publiziert zu werden. So stellt sich beim Blättern alsbald Ermüdung ein, denn was ist fotografisch langweiliger als Postkarten? Schade also, dass die Herausgeber keine Bezüge zur hoch entwickelten amerikanischen Landschaftsmalerei des 19. Jahrhunderts, zur Farbästhetik in der (frühen) Fotografie, zu ähnlichen Entwicklungen in Europa oder zur Geschichte der Postkarte überhaupt herausarbeiteten und das alles mit diesem großen – fraglos einzigartigen – Konvolut in Verbindung brachten. Dann wäre es allerdings ein anderes Buch geworden und keins für den Coffeetable.

 

  • Titel: An American Odyssey
  • Untertitel: Photos from the Detroit Photographic Company 1888-1924
  • Bildautor: (Detroit Photographic Company)
  • Textautor: Marc Walters, Sabine Arqué
  • Herausgeber: 
  • Gestalter: Marc Walters
  • Verlag: Taschen
  • Verlagsort: Köln
  • Erscheinungsjahr: 2014
  • Sprache: englisch, deutsch, französisch
  • Format: 45,7 x 32,4 x 7,6 cm
  • Seitenzahl: 612
  • Bindung: Leinen mit Schutzumschlag
  • Preis: 150 Euro
  • ISBN: 9783836542104

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