Sprung in eine rebellische Zeit

Jörg Boström und der politisch-künstlerische Aktionismus der Spätsechziger

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Jörg Boström (Jg. 1936) hat die kleine Einführung in seine Arbeit mit einem Karl-Marx-Zitat garniert, das sein künstlerisches Selbstverständnis als Fotograf umreißt:„Man muss die versteinerten Verhältnisse dadurch zum Tanzen zwingen, dass man ihnen ihre eigene Melodie vorsingt.“ Heißt soviel wie: den Gegner mit den eigenen Mitteln zu schlagen. Gegner waren der mächtige Springer-Konzern und überhaupt die bürgerliche Presse, die den politischen Aktionismus der jungen Generation diskreditierte. Da lag es also nahe, selbst auf die Seite der Berichterstattung zu gehen, um ein eigenes Bild zu liefern.

Boström hatte an der Düsseldorfer Kunstakademie Malerei studiert und war als Kunsterzieher tätig. Er war also Mitten im Zentrum des APO-Aktivismus der 60er-Jahre in Düsseldorf, der sich mit den Namen Joseph Beuys, Jörg Immendorf, Johannes Stüttgen, Sigmar Polke, Gerhard Richter, Bazon Brock und vielen anderen verband. Boström wurde sozusagen der Hausfotograf der dortigen Bewegung. Auf seinen Fotografien, die in der sorgfältigen Dokumentation des Kerber-Verlags versammelt sind, sieht man sie alle, die genannten Akteure jener Jahre, entweder auf Podien bei Debatten, bei Aktionen, Happenings, Demos oder Ausstellungseröffnungen. Andererseits sieht man auch konsternierte Schlipsträger oder Passanten, die das Protestgeschehen eher verstört beobachten. Bewegung hier, Stillstand da: Boström hat beide Seiten wahrgenommen und den tiefen Riss durch die Gesellschaft mit der Kamera festgehalten.

Boström war nie distanzierter Beobachter, sondern als Sympathisant stets selbst Teil der Bewegung und der Situation. Das verleiht seinen Fotografien eine besondere historische Unmittelbarkeit, die die Ernsthaftigkeit der oppositionellen Streitkultur jener Epoche und den unbedingten Willen zur Veränderung der Verhältnisse unmittelbar widerspiegelt. Ende des Jahrzehnts gründete er mit Manfred Koenig, Rosemarie Stein sowie Eva Wolter die Gruppe Politisch Soziale Realität (PSR), die mit Aktionen gegen die verkrusteten Strukturen der Düsseldorfer Akademie und Kunsthalle opponierte, etwa mit einem spektakulären Go-In bei der Eröffnung der Minimal-Art-Ausstellung 1969. Aber es ging nicht nur um das Kunstgeschehen. Mit ihrer Ausstellung „Umfeld-Repro – Obdachlosigkeit“ machte PSR unmittelbar auf die katastrophalen Zustände in einem Düsseldorfer Obdachlosenquartier aufmerksam, ein Meilenstein sozialer Fotografie in der Bundesrepublik und eine bis dahin beispielslose publizistische Dokumentation sozialer Realität als Gegenöffentlichkeit von unten, wobei man die Fotos durch Interviews von Betroffenen auf einer Wandzeitung, Zitaten aus Paragraphen und einem Modell einer Obdachlosenwohnung kombinierte: Eingeladen wurde PSR offiziell von der von ihr oft geschmähten Düsseldorfer Kunsthalle. Spätestens jetzt wurde Boströms Fotografie und die seiner Mitstreiter Ernst genommen und bekam ein Forum im offiziellen Kunstbetrieb.

  • Titel: Zeitsprung
  • Untertitel: Rebellisches Düsseldorf 1966-1972
  • Bildautor: Jörg Boström
  • Textautor: 
  • Herausgeber: Renate Buschmann
  • Gestalter: 
  • Verlag: 
  • Verlagsort: Bielefeld
  • Erscheinungsjahr: 2007
  • Sprache: deutsch
  • Format: 
  • Seitenzahl: 224
  • Bindung: Hardcover
  • Preis: 38 Euro
  • ISBN: 9783866780844

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