Visuelles Gedächtnis

Ein Bildband zum Werk der Fotografen Eberth aus Kassel

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Carl Eberth sen. lernte das Handwerk des Fotografen bei Oscar Tellgmann in Eschwege und machte sich 1906 in Kassel selbstständig. Für die Tellgmanns oder Eberths zählte nicht künstlerische Qualität, persönliche Selbstverwirklichung, Projektorientierung oder das Anwenden besonderer fotografischer Techniken, sondern Schnelligkeit, Zuverlässigkeit und technisch sauberes Arbeiten. Geschäftlicher Erfolg war eng mit der Einlösung dieser bürgerlichen Tugenden und mit dem Erfüllen der Wünsche der Auftraggeber verbunden. Der Kunde rief den Fotografen, weil er sich selbst, seine Familie, sein Haus, seine Fabrik oder was auch immer fotografiert oder ein bevorstehendes Ereignis im Bild festgehalten haben wollte. Carl Eberth sen. (1882-1955) und sein gleichnamiger Sohn (1910-1991) bzw. deren Mitarbeiter brachten es in diesem Beruf in Kassel und Nordhessen zu hoher Bekanntheit – der Name Eberth bürgte für Seriosität und handwerklich solide Qualität.

Vater und Sohn Eberth pflegten (neben dem Porträtgeschäft) vor allem das Illustrationsgenre und betätigten sich nicht nur im Auftrag Kasseler oder anderer Tageszeitungen, sondern auch auf eigene Initiative bei Anlässen aller Art, fotografierten das, was ihnen wichtig oder gut zu vermarkten erschien, und versuchten dann, die Bilder zu verkaufen. Auf diese Weise, begünstigt durch die immer kleiner und leistungsfähiger werdenden Kameras, entstand über die Jahre ein riesiges Archiv, das zusätzliche Vermarktungschancen bot. Die Kunden konnten noch nach Jahren Abzüge vom Ereignis X bestellen. Entscheidend für den geschäftlichen Erfolg war, dass das Archiv eine Ordnung hatte, dass es durch Musteralben und Findbücher erschlossen war, eine Forderung, deren Erfüllung über Jahrzehnte hinweg schwer gefallen sein dürfte. Mit der Schließung der Firma Eberth 2007 (laut Ausstellung: 2005) drohte der Bestand, wie so oft in solchen Fällen, mit dem Ausräumen der Geschäftsräume unterzugehen. Glücklicherweise konnte das Kasseler Stadtarchiv den Schatz übernehmen und hatte damit zugleich die Aufgabe und Verpflichtung, den Bestand aus zehntausenden Originalen (Negative, Positive) zu ordnen, zu erschließen und zu bewahren. Die Bilder (bzw. eine Auswahl) wurden digitalisiert und zusammen mit den sonst vorliegenden Informationen in eine Datenbank eingebracht, die künftig als Portal zum Bildarchiv Eberth fungiert.

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Zum vorläufigen Abschluss dieser Maßnahmen wurde von Stadtarchiv und Stadtmuseum gemeinsam nicht nur eine umfangreiche, beim lokalen Publikum erfolgreiche Ausstellung konzipiert, sondern auch ein dickes und wohlfeiles Buch mit Texten von Alexander Link und 295 Bildbeispielen herausgegeben. Im Buch spiegelt sich (wie in der Ausstellung) das gewerbliche Arbeiten der Eberths durch die Ordnung der Bilder in bestimmte Themenbereiche (Militär, Politik, documenta, Alltag… bis hin zu „Bildikonen“) und die bunte Mischung von Zeiten, Motiven, Formaten. Jedes Kapitel erhielt eine kurze Einleitung, jedes Bild eine aussagekräftige Legende. Der Bildband ist variantenreich und sachlich gestaltet, wobei die gedruckte Wiedergabe der gescannten Daten per Software überwiegend nostalgisch bräunlich eingefärbt wurde (im Gegensatz zur Ausstellung, wo alle Bilder in einem neutralen Grau erscheinen). „Die Fotos sind im Originalzustand mit ihren Gebrauchsspuren abgedruckt. Farbfonds sind Reminiszenz an den jeweiligen Zeitgeschmack“ (S. 238) oder besser, was man heute für den damaligen Zeitgeschmack hält. Die jüngeren Bilder sind also in einem bläulichen Schwarz gedruckt. Vermutlich soll das eine gewisse Kategorisierung in Epochen andeuten (bläulich = nach 1945). Dass eine Bearbeitung der „fragilen optischen Qualität“ (S. 9) grundsätzlich nicht stattfand, wage ich zu bezweifeln. Im Übrigen werden die Bilder nicht wahrer, wenn man zeitbedingte Kratzer, Staukörner und Beschädigungen am Bildschirm nicht unterdrückt oder beseitigt, sie werden allenfalls „historischer“.

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Schöne Pointe ist, dass das Bildarchiv Eberth nicht nur in das Stadtarchiv Kassel aufgenommen wurde, sondern dass (unter anderem) dieser Bestand auch weiterhin als Bildarchiv geführt wird, denn es gibt dazu jetzt eine Website, über die man sich jetzt bestimmte Motive (kostenfrei) anschauen kann, die aber auch zugleich als Katalog für eine mit Kosten verbundene Bestellung von Daten gedacht ist. Natürlich nur im Rahmen der vorherigen Einräumung der Nutzungsrechte für einen bestimmten Zweck. Die Urheberrechte liegen ohnehin weiterhin bei der Familie Eberth. Was wird passieren, wenn der nächste Bildbandautor arglos Eberth-Fotos vom Flohmarkt in seine Publikation einbaut, Bilder, die zufällig auch im Bestand des Stadtarchivs vorhanden sind?

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Der Band bietet gestalterisch und konzeptionell, also in der Aufbereitung des Materials, keine Überraschungen. Zu begrüßen ist, dass das über Jahrzehnte entstandene Werk der fleißigen Fotografen Eberth aus seinem Dornröschenschlaf geweckt wurde und dass sich auch künftige Generationen an diesem in Fotos abgespeicherten visuellen Gedächtnis Kassels und der Region erfreuen können. Das nach wenigen Wochen schon in zweiter Auflage gedruckte Buch bietet dazu einen guten Einstieg.

Blick in die Ausstellung im Stadtmuseum Kassel

Blick in die Ausstellung im Stadtmuseum Kassel

  • Titel: ZEIT Bilder
  • Untertitel: Acht Jahrzehnte Foto Eberth Cassel. Die Sammlung Eberth im Stadtarchiv Kassel
  • Bildautor: Carl Eberth sen. und jun.
  • Textautor: Alexander Link, Grußwort Bertram Hilgen, Vorwort Stephan Schwenke
  • Herausgeber: Freunde des Stadtmuseums Kassel, Magistrat der Stadt Kassel – Kulturamt
  • Gestalter: Helmut Plate, Joel Hausting
  • Verlag: Oktogon Verlag
  • Verlagsort: Kassel
  • Erscheinungsjahr: 2016
  • Sprache: deutsch
  • Format: 32,5 x 24,5 cm
  • Seitenzahl: 240
  • Bindung: illustrierte Klappenbroschur
  • Preis: 25 Euro
  • ISBN: 978-3-9817735-0-7

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