Vom Sinn, ein Pferd zu fotografieren

Christoph Grills Reisen durch die ehemaligen Sowjetrepubliken

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„Der Aufbau eines Imperiums ist häufig mit Not und Elend verbunden, sein Abriss immer.“ Der 1965 geborene österreichische Fotograf Christoph Grill bereiste zwischen 1999 und 2010 sämtliche 15 Teilstaaten des zerbrochenen Sowjetimperiums und was er da aufgenommen hat, bestätigt einmal mehr die Beobachtung des englischen Romanciers (Arthur) Evelyn Waugh. Sein Buch, das er als Resümee seiner Reisen versteht, zeigt, dass die Sowjetunion nicht nur im metaphorischen Sinn auf dem „Müllhaufen der Geschichte“ gelandet ist, sondern buchstäblich.

Mit dieser Sichtweise ist Grill nun nicht unbedingt alleine. Wir erinnern an Fotografen wie Andrej Krementschouk, Alexander Chekmenev und vor allem an Boris Mikhailov, der den Niedergang in schockierenden Bildern menschlicher Tragödien festgehalten hat. Auch Grill hat sich in Schwarzweiß und Farbe von den kaputten Seiten des kollabierten Großreichs inspirieren zu lassen. Er dokumentiert malerisch-abstrakte Stilleben mit bröselndem Putz, verfallende Fassaden, heruntergekommene Plattenbauten, gammelige Kolchosen, verlotterte Interieurs, unendliche Landschaften mit tiefen Horizonten, desillusionierte Menschen, die tieftraurig in die Kamera blicken. Und immer wieder einsame Tiere, die in ihrer Welt seltsam verloren wirken, wenn sie nicht schon tot sind.

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Grill hat den Fotos im Anhang erläuternde Texte beigegeben, die bisweilen auch beschreiben, was gerade nicht zu sehen ist. Dadurch erweitert er die Sammlung von Fotografien zu einem persönlichen Itinerar. Zwei Beispiele: „Ein Mann, der aussieht wie ein Bär und sich auch so bewegt, fragt uns, ob wir einen Bären gesehen haben, er suche nämlich einen, habe aber bis jetzt nur seinen Kot gefunden.“ Das Foto zeigt einen unendlichen Wald, dessen Boden von einer grandiosen Blütenpracht überwuchert wird; an einem Ast stakt, kaum sichtbar, eine Wodkaflasche. Oder: „Kurz nach der Aufnahme trat ein Mann aus der Baracke und frage mich, welchen Sinn es mache, ein Pferd zu fotografieren!“ Worauf sich jede Antwort erübrigt. Bedauerlich, dass Grill, der am Layout des Buches beteiligt war, seine poetischen Notate nicht den Fotos direkt zugeordnet und damit mehr Entschlossenheit zu einer engeren Verschränkung von Bild und Text bewiesen hat.

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  • Titel: Short Stalks at Distant Shores
  • Untertitel: Imaging Post-Soviet Space
  • Bildautor: Christoph Grill
  • Textautor: Ulf Brunnbauer, Christoph Grill, Ulrich Tragatschnig
  • Herausgeber: 
  • Gestalter: Elke Ederer, Christoph Grill
  • Verlag: Hatje Cantz
  • Verlagsort: Ostfildern
  • Erscheinungsjahr: 2012
  • Sprache: deutsch, englisch
  • Format: 
  • Seitenzahl: 192
  • Bindung: Leinen
  • Preis: 58 Euro
  • ISBN: 978-3775733984

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