Von Zürich nach Managua

Zu zwei Fotobüchern von Oliva Heussler

Heussler_beide

Vor ein paar Jahren stieß ich in einem Kasseler Antiquariat auf eine dünne Broschur mit einem auffälligen Titel ohne Worte: vor einem gelb eingefärbten Himmel zeichnet sich eine auf 12.25 Uhr stehengebliebene Uhr an einer Hausecke ab. Der Stein, der die gläserne Abdeckung zertrümmert hat, ist noch vor dem Zifferblatt zu sehen.

An diesem Buch war die Schweizer Fotografin Olvia Heussler (* 1957) beteiligt. Es war eine Reaktion auf die „Zürcher Unruhen“ des Jahres 1980, bei denen es um die Forderung nach einem selbstverwalteten Jugendzentrum ging. Die Publikation fällt durch eine ein vielgestaltiges Layout im Stil der damaligen Stadtzeitungen auf. Martin Parr würde sie zu den typischen „Protest Books“ zählen. Heussler konnte dreißig Jahre später zu diesem Thema eine eigene Monographie vorlegen: Zürich, Sommer 1980. Das großformatige Werk enthält die Fotos randabfallend auf Kunstdruckpapier und den Text als Anhang auf einer Art Zeitungspapier. Das Buch atmet nicht mehr den Charme der achtziger Jahre, die Bilder werden sachlich und unaufgeregt präsentiert. Am Anfang stehen verbarrikadierte Läden, am Ende gehen die Demonstranten baden. Erläuternde Bildtexte stören nicht bei Betrachten, der freilich bei allem Spektakel kein Genuss sein soll. Denn hier werden Menschen gejagt, Wasserwerfer in Stellung gebracht, Transparente geschwenkt und immer wieder wallt Tränengasnebel durch die Straßen. Eine Barrikade aus Fernsehapparaten wirkt dabei wie ein Werk der Fluxuskunst. Das Hin- und Herwogen der Gruppen von Demonstranten und Polizisten ist wie ein Ballett unter Rauchschwaden choreografiert. Es ist klar, wem die Sympathien der Fotografin gehör(t)en. Das Fotobuch von Heussler ist kein nostalgisches Album für die Veteranen des Straßenkampfs, sondern ein Appell zum Mitmachen, zum Einmischen, so wie die Fotografin selbst mitten drin war in den „Zürcher Unruhen“.

Heusslers Engagement mit der Kamera erschöpfte sich damit nicht. Sie begann ein Fotostudium und arbeite dann u.a. in Palästina und Nicaragua. Die dort entstandenen Arbeiten wurden in einem weiteren Buch gebündelt: Der Traum von Solentiname. Im Gegensatz zu der staatlich verordneten Anteilnahme, wie sie sich in zwei 1982 erschienenen Büchern aus der DDR manifestierte (Thomas Billhardt/Peter Jacob, Als die Muchachos kamen, Richard Cross/Ernesto Cardenal, Nicaragua. La Guerra de Liberacion, gedruckt „im Auftrag des Solidaritätskomitees der DDR“, Texte spanisch und deutsch!), war Heusslers Aufenthalt in Nicaragua aus eigenem Interesse motiviert. Das als „Bildband“ titulierte Buch ist zurückhaltend gestaltet und bestens gedruckt. Es vermittelt Einblicke in das nicaraguanische Leben zwischen 1984 und 2007, es ist ein Langzeitportrait des Landes. Aber es ist kein Fotobuch, das in allen Belangen so auf ein Thema, auf eine Geschichte, auf eine Epoche fokussiert ist wie Bücher von Koen Wessing (Nicaragua´78, Amsterdam 1978), Susan Meiselas (Nicaragua June 1978 – July 1979, New York 1981) oder wie das von Cross. Selbst Thomas Billhardts Arbeit für den „Militärverlag der Deutschen Demokratischen Republik“ ist in Bildern, Layout und Ausstattung durch seine Eindeutigkeit – ein Hoch auf die Solidarität! – authentischer für die damalige Situation. Dies weniger in Bezug auf die revolutionären Ereignisse in dem mittelamerikanischen Land – Billhardt kam zu spät –, aber ganz bestimmt für die Art und Weise der politischen Propaganda der DDR. Auch Heussler kam für die sandinistische Revolution zu spät, dafür kam sie immer wieder und beobachtete den schwierigen und in den Contra-Kriegen mit weiteren Opfern verbundenen Weg des Landes weiter. Am Ende entstand dieser Bildbericht.

Durch die Art und Weise der Präsentation ist Heusslers Buch über die Züricher Unruhen trotz seines um drei Jahrzehnte verspäteten Erscheinens ein großartiges Werk, das die Möglichkeiten des teilnehmenden Engagements auslotet. So wie die Broschur mit der Uhr auf dem Titel in die damalige Situation passte, so passt das neue Großformat zum Heute. Auswahl und Anordnung der Bilder sowie die schlichte Gestaltung transformieren einen Archivbestand in ein packendes und auf seine Weise fortwirkendes, ein Beispiel gebendes Fotobuch.

Zürcher Bewegung, Verlag ohne Zukunft, Zürich 1981 (2.Aufl.)

 

  • Titel: Zürich, Sommer 1980
  • Untertitel: 
  • Bildautor: Olivia Heussler
  • Textautor: Stefan Zweifel
  • Herausgeber: 
  • Gestalter: PrillVieceliCremers
  • Verlag: Edition Patrick Frey
  • Verlagsort: Zürich
  • Erscheinungsjahr: 2010
  • Sprache: deutsch, englisch
  • Format: 35 x 25,5 cm
  • Seitenzahl: 120
  • Bindung: Englische Broschur
  • Preis: 62 Euro
  • ISBN: 978-3-905509-89-2
  • Titel: Der Traum von Solentiname - The Dream of Solentiname
  • Untertitel: Nicaragua 1984-2007
  • Bildautor: Olivia Heussler
  • Textautor: Sergio Remirez, Martin Heller, Olivia Heussler
  • Herausgeber: 
  • Gestalter: Hanna Williamson-Koller
  • Verlag: Edition Patrick Frey
  • Verlagsort: Zürich
  • Erscheinungsjahr: 2009
  • Sprache: deutsch, englisch, Beilage mit allen Texten in Spanisch
  • Format: 
  • Seitenzahl: 280
  • Bindung: illustriertes Hardcover
  • Preis: 62 Euro
  • ISBN: 978-3-905509-79-3

Eine Antwort zu Von Zürich nach Managua

  1. Grossen Respekt für die wunderbaren Fotos von Olivia Heussler. 3 Wochen Aufenthalt in Nikaragua 1979 war für mich und Peter Jacobs
    das Maximum. Wir haben hart und ehrlich gearbeitet. Die Druckqualität war das nächste Problem. Ich stehe heute noch zu meinen Bildern.
    Liebe Grüße an die Autoren. T.Billhardt