Wenn Gesinnung Form wird

Arne Schmitts Fotoessay zum Städtebau der BRD

Schmitt_Cover

Was kommt dabei heraus, wenn man langweilige Architektur langweilig fotografiert und daraus ein Buch macht? Ein spannendes Künstlerbuch. Arne Schmitt nennt das ironisch eine „Essaysammlung“ und stellt die Kapitel unter Überschriften wie „Die alte Mitte“, „Wohlstand für Alle“ oder „Reste des Authentischen“. Der Fotograf recherchierte, an welchen Orten sich sein Einsatz besonders lohnen würde, fuhr dort hin und brachte aus Braunschweig, Düsseldorf, Frankfurt, Köln und anderen Städten Motive mit, die die in die Jahre gekommene, wie in Kassel auf Ausbau- und Aufbaukonzepten aus der NS-Zeit basierende Nachkriegsmoderne schäbig und oft lächerlich wirken lassen. Lustig ist das natürlich nicht.

Diese architektonische und städtebauliche Epoche scheint ein Akzeptanzproblem zu haben, auch wenn sich die Denkmalpflege schon lange für die besseren Beispiele interessiert. Das die Quellen für Schmitts Inspiration offenbarende Literaturverzeichnis nennt bezeichnenderweise neben zwei „Fotobüchern“ und zwei Filmen nur Titel aus dem Architektenfach. Schmitt agiert hier aber nicht als Denkmalpfleger oder Bauforscher, sondern als Fotokünstler. Sein Blick ist nicht anteilnehmend bewahrend, sondern ironisch analysierend. Das Buch ist in einem hübschen Grau-in-Grau gedruckt, Farbe oder Brillanz wäre hier auch fehl am Platze. Schmitt hat selbstverständlich auch Kassel besucht, wenn auch die hier getroffene Motivauswahl den flüchtigen Blick des Besuchers spiegelt. Hier hätte man ohne weiteres noch treffendere ästhetische Entgleisungen finden und verarbeiten können. Aber darum ging es ja gar nicht, der Blick ist immer auf die alltägliche Tristesse, die durchschnittliche Architektur gerichtet, auf Objekte und Situationen, die man im Vorbeigehen übersieht und nicht mehr wahrnimmt. Schmitts Buch bringt so oder so eine der zentralen Thesen von Hans-Peter Feldmanns Eine Stadt: Essen (1977) oder Michael Schmidts Berlin-Wedding (1978) auf den neuesten Stand und erweitert den Blick vom Speziellen eines Ortes auf das Symptomatische einer irgendwie ungemütlichen, rationell und rational durchgeplanten Atmosphäre, für die der markig-provokante Titelslogan Wenn Gesinnung Form wird genau ins Schwarze trifft.

 

  • Titel: Wenn Gesinnung Form wird
  • Untertitel: Eine Essaysammlung zur Nachkriegsarchitektur der BRD
  • Bildautor: Arne Schmitt
  • Textautor: Kathrin Peters
  • Herausgeber: Inka Schube
  • Gestalter: Timo Grimberg
  • Verlag: Spector Books
  • Verlagsort: Leipzig
  • Erscheinungsjahr: 2012
  • Sprache: deutsch
  • Format: 
  • Seitenzahl: 352
  • Bindung: Leinen, Schutzumschlag
  • Preis: 32 Euro
  • ISBN: 978-3-940064-56-1

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