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Die Fotoagentur Magnum dokumentiert seit 65 Jahren Revolutionen

Magnum_Cover

Am 27. April 1947 zettelten die Fotografen Robert Capa, Henri Cartier-Bresson, David Seymour und George Rodger in Paris eine kleine Revolution an. Zugegeben: Ihnen stand nicht der Sinn nach einem politischen Umsturz, aber auf die komplette Wandlung ihrer Branche hatten es die Vier sehr wohl abgesehen. Sie gründeten die weltweit erste kooperativ geleitete Fotoagentur – und sorgten dafür, die Mitglieder ihre Bildrechte behalten konnten, anstatt sie an Magazine oder kommerzielle Agenturen abtreten zu müssen. Als „Magnum” startete, war das „Life Magazine” in seiner Blütezeit: Als eine der ersten Zeitschriften überhaupt richtete es seinen Fokus auf mehrseitige Fotoreportagen. Und die Fotografen von „Magnum” hatten wahrlich keine Absatzprobleme.

Doch die goldenen Jahre sind längst vorbei – selbst für einen elitären Laden wie „Magnum”. Um Einnahmen zu generieren, verkaufte die Agentur jüngst 185.000 Werke an den Unternehmer Michael Dell. Und Projektmanager organisieren fortwährend Ausstellungen und Buchprojekte. Das jüngste Werk, „Magnum Revolution”, liegt jetzt vor; es ist ein bedeutungsschwerer Klotz mit 250 Fotos. Man sieht: 30 länderspezifische Revolutionen, von 39 Magnum-Mitgliedern über einen Zeitraum von 65 Jahren fotografiert. Ein Buch, das vollgestopft ist mit Fotografien im Stile der „Concerned Photography”.

Paolo Pellegrin eröffnet den Bilderreigen: mit seinen Reportagen über den Arabischen Frühling in Tunesien und Ägypten 2011. Erich Lessing beschließt ihn: mit dem Aufstand in Ungarn 1956. Es liegt beileibe nicht an den Fotografen und der Qualität ihrer Bilder, dass das Buch keine rechte Kontur gewinnt. Es wurde mit allzu heißer Nadel gestrickt. Die Buchgestaltung wirkt lieblos und standardisiert. Die Sequenzierung gibt Rätsel auf. Im Kapitel über San Marino ist gerademal eine Fotografie von René Burri zu sehen. Nicht anders das Kapitel über die Philippinen: Es wird nur eine Fotografie von Susan Meiselas gezeigt. Warum sind diese Freiheitskämpfe dann Gegenstand des Buchs?

Der Mann, der dem Buch einen roten Faden verleiht, ist beileibe kein Fotograf. Es ist der scharfsinnige Journalist und Pulitzer-Preisträger Paul Watson. In seinen Essays schildert er wunderbar knapp die Vorgeschichten und Auslöser der Revolutionen und stellt die Fotografen vor, die die Umbrüche dokumentierten. Genau durch dieses Zusammenspiel von Texten und Fotos gewinnt das Buch an Relevanz. Es ist erstaunlich, wie verblüffend ähnlich Revolutionen verlaufen können, auch im negativen Sinne. So behauptete Ruhollah Chomeini noch im französischen Exil weilend, dass er nicht plane, das Land in die Hände von religiösen Führern zu legen. Und für einen kurzen Moment glaubten die Menschen an Demokratie. Als Chomeini nach der Revolution im Jahr 1979 die Macht übernahm, begann für säkularisierte Iraner ein Albtraum: Ab sofort lebten sie in einem Gottesstaat, und bis heute kämpfen sie darum, ihre Freiheit wiederzuerlangen. Eine traurige Parallele dazu? Ist ausgerechnet Ägypten im Jahr 2012. Der demokratisch gewählte Präsident Mohammed Mursi ebnet gerade den Weg für eine islamistische Republik. Wie lange werden sich linke, liberale und säkulare Ägypter das bieten lassen? Kommt bereits die nächste Revolution? Und werden es Fotojournalisten von „Magnum” sein, die diese in Bildern festhalten?

Ob in Tunesien, Ägypten oder Libyen: Es waren unbeteiligte Bürger oder Aufständische, die die Umbrüche filmten oder fotografierten und dann über Facebook, Youtube und Twitter in die Welt hinaus trugen. „Kein Magnum-Fotograf hielt die letzten Momente im Leben Gaddafis nahe der Stadt Sirte fest, doch wir konnten alle sehen, was geschah”, bemerkt Jon Lee Anderson, Edelfeder des New Yorkers, treffend im einleitenden Essay des Buchs. Wird es jemals einen zweiten Band von „Magnum Revolution” geben? Allzu zuversichtlich sollte man nicht sein.

  • Titel: Magnum Revolution
  • Untertitel: 65 Jahre Freiheitskampf
  • Bildautor: 39 Fotografen der Agentur Magnum
  • Textautor: Jon Lee Anderson, Paul Watson
  • Herausgeber: 
  • Gestalter: Sofarobotnik
  • Verlag: Prestel
  • Verlagsort: München
  • Erscheinungsjahr: 2012
  • Sprache: deutsch
  • Format: 
  • Seitenzahl: 256
  • Bindung: Hardcover, illustrierter Schutzumschlag
  • Preis: 49,95 Euro
  • ISBN: 978-3-7913-4643-4

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