Zwischen Ästhetik und Kritik

Dreimal Architektur

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Diese drei Fotobücher haben außer einem engen Bezug zum Thema Architektur nichts gemeinsam: Kuppeln in Rom, zweckentfremdete ehemalige Synagogen in der Ukraine, Wirtschaftswunderbauten in Köln. Der Grad des vermittelten ästhetischen Wohlklangs nimmt dabei von Buch zu Buch ab, während umgekehrt die kritische Intensität zuzunehmen scheint.

Jakob Straub (* 1975) war in Rom und hat Kuppeln von öffentlichen Bauten, zumeist Kirchen, fotografiert. Und zwar in Typologenmanier immer genau unter dem Scheitelpunkt der Kuppel stehend, die analoge Kamera streng nach oben auf den Mittelpunkt des Kuppelkreises ausgerichtet. Die Beleuchtung ist gleichmäßig, nichts verschwindet in Schatten oder Überstrahlungen. Die Bilder wurden nicht als Buch, sondern in Form eines, wie der Verlag stolz meldet, 18 Meter langen Leporellos aneinandergereiht, genauer, man kann den Bildstreifen auf dieses Format ausfalten oder, im eingefalteten Lieferzustand, auch als Buch betrachten. Warum man das Ganze auf 18 Meter ausfalten sollte, wer hätte schon den Platz dazu?, wenn es doch um Kuppeln geht und nicht etwa um einen Straßenzug (vgl. Ed Ruschas Sunset Strip, 1966), erschließt sich mir nicht. Wenn man vergleichen wollte, was bei den kaleidoskopartigen grafischen Strukturen der Kuppeln durchaus nahe läge, wird man den kleinen Bildindex am Ende verwenden. Besser handhabbar wären quadratische Einzeltafeln als Mappenwerk gewesen. Das gefaltete Aneinander der Bilder hat nämlich den Nachteil, dass man bei der kleinsten Nachlässigkeit beim Zuklappen des Werks Knickspuren produziert. Bei genauerer Betrachtung und unter Zuhilfenahme des Bildindex überraschen die Baujahre der fotografierten Kuppeln vom Mittelalter über Barock bis in die Gegenwart. Ästhetik pur.

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Um Sakralbauten geht es auch in Johanna Diehls (* 1977) Buch über ehemalige Synagogen in der Ukraine. Die Räume wurden 2013 als Turnhalle, Kino, Supermarkt, Veranstaltungssäle oder Lagerraum genutzt, was oft einen seltsamen Kontrast zu der noch als aufwändig erkennbaren Architektur und ehemalige Ausstattung ergibt. Die Profanisierung der Räume reicht weit in die Vergangenheit zurück, in die deutsche Besatzungszeit oder in die sowjetische Zeit. Sagt diese eher traurige Serie etwas über den heutigen Stand des Judentums in einem mit vielen Problemen kämpfenden Land aus? Man müsste einen Vergleich haben, beispielsweise zum Verfall von Dorfkirchen in den ausblutenden ländlichen Regionen hierzulande oder zur Zerstörung von Kultusbauten durch religiöse Eiferer. Vielleicht sind Schändung, Zerstörung, Verfall und Profanisierung von Sakralräumen Anzeichen eines viel weiter reichenden Phänomens? So gesehen könnte man Diehls Studie als exemplarisch interpretieren. Die Texte Buch sind auf kleineren, blauen Werkdruckseiten zu finden, die, warum genau dort?, an zwei Stellen im Buch eingefügt sind. Am Ende gibt es auch hier, jetzt auf braunem Werkdruckpapier, einen Bildindex, mit genauen Maßangaben, der immer gleichen Angabe des Aufnahmejahrs „2013“ und der Technik „C-Print“. Man merkt, das Buch ist auch ein Ausstellungskatalog, dem Kunstkontext sind solche Redundanzen geschuldet.

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Spröde und in ihrer Nüchternheit hart an der Grenze des Erträglichen sind die Fotos in Arne Schmitts (* 1984) neuem Buch über eine Art Spaziergang von Köln-Kalk zur anderen Rheinseite in Richtung des wegen U-Bahn-Baus eingestürzten Stadtarchivs. Was hat den Fotografen wohl dazu bewogen, diese Motive für abbildenswert zu halten? Vielleicht das Wegschauen, was solche „neoliberalen Architekturen“ normalerweise evozieren. Architektonische Qualität, die man sich gern anschaut, die zum Verweilen einlädt, sieht anders aus. Das unbarmherzige fotografische Festhalten dieser banalen, wenn auch den jeweiligen architektonischen „Fortschritt“ repräsentierenden Zweck- und Alltagsbauten ist eine Provokation. Man sieht, dass Investoren, auch wenn sie in öffentlichen Diensten stehen, nicht unbedingt Ästheten sind und dass es zuerst ums Geld geht. Schmitt ist trotzdem kein Polemiker, sondern ein präzise arbeitender Lakoniker. Das betont sachlich gestaltete Buch kann man zuklappen und weglegen, das reale Köln nicht.

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  • Titel: Roma Rotunda
  • Untertitel: 
  • Bildautor: Jakob Straub
  • Textautor: Mark Gisbourne
  • Herausgeber: 
  • Gestalter: Jakob Straub
  • Verlag: Hatje Cantz
  • Verlagsort: Ostfildern
  • Erscheinungsjahr: 2015
  • Sprache: deutsch, englisch
  • Format: 19,5 x 38,5 cm, ausgefaltet ca. 38,5 x 1800 cm (ich habe es nicht nachgemessen)
  • Seitenzahl: (96)
  • Bindung: Leporello in illustriertem Hardcover
  • Preis: 45 Euro
  • ISBN: 978-3-7757-3975-7
  • Titel: Ukraine Series
  • Untertitel: 
  • Bildautor: Johanna Diehl
  • Textautor: Juri Andruchowytsch, Bernhard Maaz
  • Herausgeber: 
  • Gestalter: Studio Jung
  • Verlag: Sieveking Verlag
  • Verlagsort: München
  • Erscheinungsjahr: 2015
  • Sprache: deutsch oder englisch
  • Format: 
  • Seitenzahl: 160
  • Bindung: Illustriertes Hardcover
  • Preis: 49,90 Euro
  • ISBN: 978-3-944874-14-2 (deutsche Version) oder 978-3-944874-35-7 (englische Version)
  • Titel: Die neue Ungleichheit. Ein Bildband entlang neoliberaler Architekturen
  • Untertitel: The New Inequality. A photo book tracing neoliberal architectures
  • Bildautor: Arne Schmitt
  • Textautor: Thorsten Krämer
  • Herausgeber: 
  • Gestalter: Timo Grimberg
  • Verlag: Spector Books
  • Verlagsort: Leipzig
  • Erscheinungsjahr: 2015
  • Sprache: deutsch, englisch
  • Format: 
  • Seitenzahl: 88
  • Bindung: Illustrierte Klappenbroschur
  • Preis: 24 Euro
  • ISBN: 978-3-95905-027-2

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