Was ist der Mainstream?

„Ruprecht Günther fotografiert Neapel – die aufregende Stadt am Vesuv aus einer Perspektive jenseits des Mainstreams“, ist dem Klappentext zu entnehmen. Das wirft sofort die Frage auf, was der Mainstream ist. Sind es die bunten Fotoreportagen in den Magazinen, die Knipsfotos der Touristen, die schönen Reisebilder der Kollegen? Oder genau umgekehrt: Sind es Reportagen über den Müll, den Stadtrand-Gettos, die Camorra? Günther will andere Neapel-Bilder liefern, aber welche?

Günther, 1954 bei München geboren, ist freiberuflicher Grafiker und Illustrator. Seit 2002 lebt er in Brasilien. Drei Fotobücher hat er im Münchener Salon Literatur Verlag veröffentlicht, eins über Lissabon, eins über Bahia und das über Neapel. Und seien wir ehrlich, was er flanierend fotografiert dürfte das neapolitanische Tourismusbüro wirklich freuen. Er zeigt die Stadt am Fuße des Vesuvs von ihrer intimen Seite: Diskutierende Passanten, die schönen jungen Mädchen, luftige Wäsche vor sonnigen Häuserfronten, jede Menge Heiligenbilder, pittoreske Marktstände mit Köstlichkeiten des Mittelmeeres. Auf Fotos von Sehenswürdigkeiten verzichtet er, Unangenehmes spart er ebenso konsequent aus. Viele Bilder hätten auch in Genua, Madrid oder Athen entstanden sein können.

Günther hat ein gewisses Gespür für Situationen, Szenen, Farben, Formen und Bildkomposition. Die Gestaltung ist nicht aufregend, wechselt zwischen seitenfüllenden Ansichten, doppelseitigen Panoramen und quadratischen Motiven. Die biedere Covergestaltung im Albumstil mit der Kursivschrift und dem umrandeten Foto verströmt eher den Charme eines netten Mitbringsels als den eines Fotobuchs mit Anspruch.

Wer nach Neapel nicht reist, weil er Angst vor der Mafia hat, könnte bei Ruprechts Fotos denken, dass es dort vielleicht doch nicht so arg sein kann. Das Elend, die Kriminalität, die Drogen, den Müll – all das spart er ja aus. Man kann es allerdings als seine subjektive Entscheidung akzeptieren, sich vorwiegend auf schöne Bildmotive zu verlegen, auf die Menschen, den Alltag, das Leben. Von Neapel hat man dann aber doch nur wenig gesehen. Wer nur mit diesem Buch in der Tasche dorthin reist, könnte Bestätigung finden – oder bitter enttäuscht werden, je nachdem.