Wie hat er das gemacht?

Grandios: Enno Kaufholds St.-Pauli-Fotografien 1975-1985

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Der ewige Klassiker der St-Pauli-Fotografie ist Anders Petersens Café Lehmitz. Der schmale Band erschien erstmals 1978 und zeigt all die Kaputten und Gestrandeten in jener Kneipe auf der Hamburger Reeperbahn, die der schwedische Fotograf Ende der 1960er-Jahre aufgenommen hatte.

Wenige Jahre später gab es einen weiteren Fotografen, der auf der Hamburger Amüsiermeile sein Sujet gefunden hatte: Enno Kaufhold. Seine St.-Pauli-Impressionen sind nun – nach gut 40 Jahren – im Hamburger Junius-Verlag erschienen. Der Band hat das Zeug zu einem weiteren Klassiker. Jedenfalls steht Kaufhold, der vor allem als Fotohistoriker hervorgetreten ist, Petersen in nichts nach. Die Bilder entstanden, wie er im Vorwort gesteht, als „mentaler Ausgleich“ zu seinem gleichzeitigen Kunstgeschichtsstudium. Gleichwohl: Seine Fotos sind schlicht grandios. Im Unterschied zu Petersen, der sich auf den Mikrokosmos des Lehmitz‘ konzentriert hatte, erkor Kaufhold den Makrokosmos Kiez zu seinem Revier: natürlich die Reeperbahn, natürlich die Herbertstraße mit ihren Prostituierten in den Schaufenstern, dann die schmuddeligen U-Bahn-Stationen, Peep-Shows, Spelunken, wie etwa die Kneipe „Zum Goldenen Handschuh“, jenes Stammlokal des Serienkillers Fritz Honka, der auf St. Pauli in den Siebzigern vier Frauen grausam ermordet hatte. Überall fand Kaufhold sie, die Säufer und Besoffenen – wankend, sich kaum mehr auf den Beinen haltend oder ihren Rausch in vollgepissten Ecken ausschlafend – all die Eckensteher und Abgehalfterten, die Kleinkriminellen, Zuhälter und Nutten, Kiezbewohner, Mütter mit Kinderwagen, die Gutgelaunten und Miesepeter, Schluffis, Muttis in Kittelschürzen, Rocker in Schlaghosen oder Männer mit Aktentaschen, die spielenden Kinder vor heruntergekommenen Vergnügungslokalen.

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Seine Bilder hat er unkommentiert gelassen. Zum Glück, denn sie erzählen bereits die Geschichten vom schönen und hässlichen Leben, von Sehnsucht, Verlangen und Gier, von Einsamkeit und Desillusionierung, Erschöpfung und Müdigkeit, von Trauer, Gleichgültigkeit, Wut und Verzweiflung – aber auch von der puren Lust am Leben. Während Petersen bald Vertrauen zu „seinen Leuten“ im Lehmitz aufgebaut hatte, blieb Kaufhold bei aller Nähe als stiller Beobachter dokumentierend auf Abstand, wobei er niemals jemanden bloßstellt oder lächerlich macht. Kaufhold fotografierte mit versteckter Kamera. Die wenigsten haben es wohl gemerkt, als er den Auslöser betätigte und man fragt sich immer wieder, wie ihm das gelungen ist. Eins ist sicher: Jedes Foto geriet ihm auf diese Weise zu einem visuellen Erlebnis.

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  • Titel: St. Pauli. Fotografien 1975–1985
  • Untertitel: 
  • Bildautor: Enno Kaufhold
  • Textautor: Enno Kaufhold
  • Herausgeber: 
  • Gestalter: Benjamin Wolbergs
  • Verlag: Junius Verlag
  • Verlagsort: Hamburg
  • Erscheinungsjahr: 2021
  • Sprache: deutsch
  • Format: 31 x 23 cm
  • Seitenzahl: 320
  • Bindung: Hardcover
  • Preis: 49,90 Euro
  • ISBN: 978-3-96060-541-6

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