Buchenwald und Auschwitz

Spurensuche und Tourismus, oder: Wie kann man das Grauen der Shoa 2025 fotografisch darstellen?

Das vielleicht schwierigste Thema für eine fotokünstlerische Auseinandersetzung in Deutschland ist die Shoa, die Vernichtung von abertausenden Menschen im Nationalsozialismus.

Erste Fotopublikationen erschienen gleich nach der Befreiung der Konzentrationslager, um unseren Vorfahren vor Augen zu führen, welche Verbrechen über Jahre begangen wurden. In einer zweiten Phase kam es dann zur Veröffentlichung von Dokumentarbänden, oft erschienen aus Anlass der Einrichtung von Gedenkstätten, zum Beispiel als Serie von drei großformatigen, vom „Komitee der Antifaschistischen Widerstandskämpfer in der Deutschen Demokratischen Republik“ herausgegebenen Bildbänden über Buchenwald (1959), Ravensbrück (1960) und Sachsenhausen (1962) im Ostberliner Kongreß-Verlag (das erste und das dritte damals unter den „Schönsten Büchern“ der DDR ausgezeichnet). Die dritte Phase des Fotobuchschaffens über Konzentrationslager und Verbrechen der Nazis hält an und umfasst Versuche, dem unsagbaren Grauen mit künstlerischen Mitteln irgendwie gerecht werden zu können. Es gibt dabei zwei Richtungen, nämlich noch vorhandene Spuren der Mordmaschinerie mit der Kamera festzuhalten oder Konzepte zu entwickeln, um das Unzeigbare indirekt zeigbar zu machen.

An dem ersten, dem dokumentarischen Ansatz, sind schon viele Fotografen mehr oder weniger gescheitert, jedenfalls habe ich bislang kaum ein Buch gesehen, das einem hohen Anspruch gerecht geworden wäre. Mir fällt als eines der wenigen positiven Beispiele vor allem der polnische, in der DDR gedruckte Band Oświęcim-Brzezinka/Auschwitz-Birkenau von Adam Bujak (1972 oder 1973) ein, dessen tiefmattes Kupfertiefdruckschwarz den Motiven eine eigenartige, düstere Ästhetik verleiht. Mit diesem Buch ist eigentlich alles gesagt, was es zum Thema KZ in Sachen fotodokumentarischer Ansatz zu sagen gibt

Die beiden Neuerscheinungen von Christian Rothe (Buchenwald) und Jürgen Teller (Auschwitz-Birkenau) vermehren nun die Zahl der glücklosen Versuche, dem komplizierten Sujet „ehemalige KZ als Objekte der Erinnerungskultur“ gerecht zu werden.

Rothes (* 1986) Buch macht durch die Einbandgestaltung neugierig: ein nebulöses Waldmotiv wirkt durch das rasternde Überzugsmaterial Gaze entweder wie durch einen engmaschigen Drahtzaun gesehen oder wie unter einem Wundverband liegend. Innen sind vor allem Relikte von baulichen Anlagen zu sehen, die von der umliegenden Vegetation mehr oder weniger stark überwuchert wurden, oder auch einige Motive mit Zäunen oder seltsam fern wirkenden Bauten. Es wurde in einem grauen Schwarzweiß auf ein mattes Papier gedruckt; das Layout ist zurückhaltend-sachlich. Zwischen den Bildkapiteln liegen Textabschnitte, gerade so, als ob der Autor seinen eigenen Bildern nicht traut und das, was er wollte, der Verstärkung durch das Wort bedurfte. Der Band war bei den diesjährigen Buchkunstwettbewerben sehr erfolgreich und man darf sich fragen, warum, denn ich finde die im Standardstil der „New Topographics“ realisierten Bildlösungen für die gestellte Aufgabe nicht überzeugend. Zu einer Galerieausstellung der Buchenwald-Serie erschien eine ergänzende Broschüre, in der u.a. einige von Rothes Motiven mit historischem Archivmaterial kombiniert werden, was nichts anderes zeigt als den Mangel des aktuellen, im Buch gezeigten Ansatzes: „Ein Bild allein kann die Komplexität historischer Zusammenhänge nur bedingt wiedergeben“ (Broschüre, S. 7).

Eine gewisse Beliebigkeit spricht aus dem Buch des ungleich bekannteren Fotografen Juergen Teller (* 1964), der sich für ein paar Tage in Begleitung seines Verlegers nach Auschwitz-Birkenau begeben hatte und von dem Gedenkort etliche Speicherkarten voller Schnappschüsse mitgebracht hat. Immerhin gibt es ein paar Motive, die eine persönliche Betroffenheit aufscheinen lassen, nämlich Listen von Opfern, auf denen der Familienname Teller dutzendfach vorkommt. Am Ende ist ein „Selbstporträt“ Tellers vom 5.12.2024 zu sehen, das aber nur aus dem doppelbödigen Schriftzug „plate/Teller“ besteht, der offenbar auf eine Abstellmöglichkeit für Geschirr in einem Speiseraum der touristischen Infrastruktur des Gedenkortes hinweist (Bild 92). Teller hat durch Türspione in Einzelzellen fotografiert, aber auch Besuchergruppen, Exponate aus der Ausstellung, Mauerreste, Stacheldraht und natürlich den Eingang mit dem berühmt-berüchtigten Schriftzug. Zwischendurch auch hier Texte, dieses Mal auf Transparentpapier gedruckt. Welche Motivation leitete einen der bekanntesten europäischen Fotografen, der meinte, das heikle Thema mit einer Flut aus 820 Bildern bewältigen zu können ?

Es mag sein, dass tausende von Besuchern in den KZ-Gedenkstätten mit ihren Handys hunderttausende von ähnlichen Eindrücken mit nach Hause bringen und damit zeigen, wie man sich mit dem Apparat vor dem Gesicht von dem in den KZ-Gedenkstätten omnipräsenten Grauen distanzieren kann. Das Grauen, so deute ich Tellers Buch, ist im Alltag als Touristenattraktion angekommen. Das Grauen, so denke ich über Rothes Spurensuche, ist kein passendes Objekt mehr für das Schönste Buch des Jahres (wie damals in der DDR). Künftige Autoren und Autorinnen von Fotobüchern über Vernichtungslager und Shoa sollten sich gründlich über die Fotogeschichte dieses Themas informieren, um sich vorher über die Gratwanderung im klaren zu werden, auf die man sich begeben möchte.

  • Titel: Buchenwald
  • Untertitel: Im Dickicht vom Ettersberg
  • Bildautor: Christian Rothe
  • Textautor: Texte von Heinrich Bedford-Strohm, Günter Jeschonnek, Andrea Karle; Zitate von Bruno Apitz, Imre Kertész, Jorge Semprún; Gedicht von José Fosty
  • Herausgeber: Günter Jeschonnek
  • Gestalter: Copa Ipa
  • Verlag: Hartmann Books
  • Verlagsort: Stuttgart
  • Erscheinungsjahr: 2025 (2. Auflage in Vorbereitung)
  • Sprache: deutsch, englisch
  • Format: 33,2 x 21,7 cm
  • Seitenzahl: 240
  • Bindung: Hardcover
  • Preis: 40 €
  • ISBN: 978-3-96070-125-5
  • Titel: Auschwitz-Birkenau
  • Bildautor: Juergen Teller
  • Textautor: Christoph Heubner
  • Gestalter: Juergen Teller/Dovile Drizyte
  • Verlag: Steidl
  • Verlagsort: Göttingen
  • Erscheinungsjahr: 2025
  • Sprache: deutsch, englisch
  • Format: 26 x 19 cm
  • Seitenzahl: 448
  • Bindung: Softcover
  • Preis: 35 €
  • ISBN: 978-3-96999-459-7
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