Blättern oder abreißen?

Turit Fröbe ist promovierte Architekturhistorikerin und publiziert insbesondere zu Themen der Baukultur der zeitgenössischen Moderne. Sie hat ein großes Lichtbildarchiv angelegt mit Motiven von ästhetischen Verwirrungen übermotivierter Architekten, Produkten planloser Stadtplaner sowie Vorgarten- und Fassadeninstallationen vom Baumarktangebot überwältigter Eigenheimbesitzer. Aus ihrem schier unerschöpflichen Bestand an Fotos aus ganz Deutschland entstanden bereits zwei „Abreisskalender“ für die Jahre 2007 und 2015 sowie ein Fotobuch.

Für 2020 legte sie nun die dritte Ausgabe des Abrisskalenders vor, mit „366 Bausünden zum Abreißen“. Der Kalenderblock ist etwas größer wie eine Postkarte, aber ziemlich dick. Die vielen Bildbeispiele sind die zum Abreißen am oberen Rand perforiert, eine Art Stempel mit der Aufforderung „abreißen am“ und dem jeweiligen Datum dient als Kalendarium, behindert aber die freie Sicht auf die Motive. Diese wurden nicht im Sinne eines strengen dokumentarfotografischen Konzeptes fotografiert (also in gerader Ausrichtung bei „Becher“-Licht in brillanter Technik o.ä.), sondern spontan und ohne große Rücksichtnahme auf die Konventionen eines Kunstkontextes. Man kann den Kalender aufhängen oder hinstellen, aber besser funktioniert das Objekt trotz der engen Bindung als Taschenbuch, das man durchblättert statt es durch das Herausreißen der Seiten zu reduzieren. Man kann sich ja auch durch diszipliniertes Blättern jeden Tag eine neue architektonische Katastrophe zumuten…

Nicht abgerissen, sondern aufbewahrt: der erste Abreißkalender von Turit Fröbe