
Das Leben des Amerikaners Burton Holmes (1870-1958) ist eine Ansammlung von Superlativen: Sechs Weltumrundungen, 20 mal den Pazifik, 30 mal den Atlantik überquert. In sechzig Jahren nahezu jedes Land der Erde bereist, dabei 150.000 Meter Film belichtet – sowohl bewegte Bilder (200 Filmrollen sind erhalten) als auch Fotografien (30.000 Dias hat er hinterlassen). Vor meist ausverkauften Häusern hat Holmes zwischen 1892 und 1952 rund 8000 (!) Vorträge über seine Reisen gehalten und diese wiederum mit aufwändig bebilderten Büchern massenhaft unters Volk gebracht.
Holmes’ Passion war das Reisen. Seine Lichtbildvorträge – für die er die griffige Bezeichnung „Travelogues“ erfand – folgten einer bis ins letzten ausgefeilten Dramaturgie. Sie waren keine „Abfallprodukte“ der Touren, sondern deren logische Konsequenz, Sinn und Zweck. Mit den Einnahmen finanzierte er weitere Reisen, auf denen er wiederum das Material für neue Vorträge sammelte: Ein grandioses Geschäftskonzept würde man das heute nennen. Und man glaubt sofort, dass er das nicht um des Geldes wegen gemacht hat, sondern aus unstillbarer Neugier, aus Liebe zum Reisen und zur Reisefotografie. Denn seine Fotografien sind schlicht faszinierend.
Eine großartige Auswahl seiner überwiegend handkolorierten Dias hat der Taschen-Verlag in einem schweren Prachtband ediert. Das Buch folgt alphabetisch den bereisten Ländern auf allen Kontinenten. Holmes interessierte sich nicht nur für die touristischen Highlights, die er in überwältigenden Natur-Panoramen oder verwirrenden Stadtansichten, entweder leicht von unten oder als Überblick von einem erhöhtem Standpunkt einfängt: Alles was auf ganz große Wirkung im Lichtbildvortrag hin berechnet. Aber dabei belässt er es nicht. Er wusste, dass er sich Langeweile nicht leisten konnte, dass Abwechslung das A und O ist und die Suche nach dem besten Standpunkt seine Lebensversicherung. Und so gibt es immer wieder auch Aufnahmen vom Volk, von Sitten und Gebräuchen, von Straßenszenen (Boulevards von Paris), aber auch spektakuläre Bilder von Naturkatastrophen (Vesuvausbruch 1906), Kriegen (1. Weltkrieg) oder Unfällen. Holmes fotografierte mit Sinn für Dramatik auch aus dem Flugzeug und in abgelegenen unwegsamen Gebieten, und das stets mit schwerer Plattenkamera-Ausrüstung. Bereits vor Erfindung des Kinos vermittelte er einem Millionenpublikum ein dokumentarisches Bild der Erde an der Schwelle zur Globalisierung – und damit das Gefühl, unmittelbar dabei zu sein.
Der Band enthält neben den Fotografien auch in Ausschnitten seine Vortragstexte, die ihn als hervorragenden Reiseschriftsteller ausweisen. Land und Leuten begegnete er mit Neugier, dem Witz des amerikanischen Selfmademanns und der Distanz des kritischen Beobachters. Einführung in Leben und Werk, Zeittafel, Editionsbericht und Register runden den Band ab. In der Geschichte der Fotografie spielt Holmes keine nennenswerte Rolle. Mit dieser Publikation könnte sich das ändern.
- Titel: Burton Holmes. Reiseberichte
- Untertitel: Der größte Reisende seiner Zeit
- Bildautor: Burton Holmes
- Textautor:
- Herausgeber: Genoa Caldwell
- Gestalter:
- Verlag: Taschen
- Verlagsort: Köln
- Erscheinungsjahr: 2006 (2.Auflage 2007)
- Sprache: deutsch (das Bild zeigt die englische Ausgabe)
- Format:
- Seitenzahl: 368
- Bindung: Hardcover
- Preis: 39,99 Euro
- ISBN: 9783822827680