Dokumentarist des Oberflächlichen

Steve Schapiro will sein Image wandeln – und scheitert daran

Shapiro_Cover

„Was verbindet Mohammed Ali, David Bowie, Andy Warhol und Marlon Brando? Starfotograf Steve Schapiro hat sie alle vor der Linse gehabt.” – Genau so stereotyp wie jüngst im „Tagesspiegel” beginnen alle journalistischen Porträts des heute 78-jährigen Fotografen. Wenn man den US-Amerikaner selbst nach den Höhepunkten seines Schaffens fragt, lässt er die gefälligen Porträts der Promis und Filmstars gern unter den Tisch fallen. In der aktuellen Monografie „Then and Now”, für die er bislang unveröffentlichte Fotos aus seinem Archiv geholt hat, zeigt er neben altbekannten Sujets auch ambitionierte gesellschaftskritische Fotoprojekte. Das Publikum soll endlich lernen: Steve Schapiro ist mehr als ein Celebrity-Fotograf. Doch woher rührt eigentlich die Diskrepanz zwischen öffentlichem Bild und Selbstwahrnehmung?

Beamen wir uns zurück in die 1960er Jahre. Es ist die hohe Zeit der humanistischen Fotografie. Einer ihrer Stars ist W. Eugene Smith, der mit seinen mehrseitigen Reportagen im „Life Magazine” ein Millionenpublikum fesselt. Schapiro ergattert einen Platz in dessen Fotoklasse, arbeitet an sozialkritischen Serien über Drogenabhängige in East Harlem oder Wanderarbeiter in Arkansas und schlägt diese Geschichten den Bildredakteuren von „Life” vor. Endlich, 1961, erhält er seinen ersten Auftrag, und es folgen viele weitere. Er begleitet den Präsidentschaftswahlkampf von Robert F. Kennedy, ist beim Marsch von Selma dabei, den Martin Luther King initiiert, um die Aufnahme farbiger US-Bürger in die Wählerlisten zu erzwingen. Und 1968 wird er nach Memphis geschickt, um das Attentat auf King zu dokumentieren. Er ist der erste im Hotelzimmer des ermordeten Bürgerrechtlers und macht Fotos, die „Life” zwar beauftragt hat, aber niemals veröffentlichen wird. Schapiro beschreibt dieses Erlebnis als „fast schon traumatisch” und braucht 38 Jahre, um an diesen Ort zurückzukehren.

Man kann nur mutmaßen, ob es dieses Ereignis ist, das Schapiro dazu bringt, sich mehr und mehr der Celebrity-Fotografie zuzuwenden. Er reist an Filmsets, fertigt Porträts von Schauspielern an – und diese eignen sich meist genial für Werbezwecke. Auch so manches Musikerporträt des New Yorkers landet später auf einem Plattencover. Aber Schapiro ist ein Mann alter Schule, er hält sich bei Shootings dezent im Hintergrund und nickt auch mal Inszenierungsideen selbstverliebter Filmgrößen ab. Die Fotos, die dabei entstehen, sind zwar ästhetisch ausgereift, aber recht gefällig und uninspiriert. Es liegen Lichtjahre liegen zwischen dem erklärten Gentleman Steve Schapiro und dem Exzentriker Jürgen Teller. Der lichtet zwar auch Promis ab, lässt sich das Heft aber nicht aus der Hand nehmen. So fotografiert er Charlotte Rampling nackt im Louvre, lässt Björk schwarzen Schleim auf einen Teller kotzen oder steckt die Fashionista Victoria Beckham kopfüber in eine Marc-Jacobs-Tasche.

Seit der Jahrtausendwende scheint Schapiro vom Club der Reichen und Schönen genug zu haben und wendet sich nun wieder politischen Themen zu. In Chicago begleitet er Anti-Kriegs-Demonstrationen, in New York seziert er die Auswüchse der Konsumkultur und rückt mit den Occupy-Leuten die Gegner der schnöden Bankenwelt ins Licht. Dennoch sind es gerade die ambitionierten Fotografien sowohl der jüngeren Zeit als auch der 1960er-Jahre, die im Buch geradezu untergehen. Schapiro ist daran nicht unschuldig. Er setzt keine Schwerpunkte, verzichtet auf Chronologie und ordnet alles, so sagt er selbst, dem „Flow” unter. So stehen sich Neues und Altes, Politisches und Privates, Wichtiges und Banales gegenüber. Und die Kriterien der Auswahl scheinen für Schapiro rein phänotypische zu sein. Auf einer Doppelseite stellt er zwei schwarzen Mädchen (Subtext: demonstrierten mit ihrer Familie 1968 für Bürgerrechte!) ein Chicagoer Girlie-Duo mit offensichtlichem Einkaufstick gegenüber (Sub: haben heute nur Konsum im Kopf!). Diese Machart des Buches ist plump und unklug, denn so behält man Schapiro als das in Erinnerung, was er zu strikt zu entkräften suchte: den Dokumentaristen der Oberfläche.

  • Titel: Then and Now
  • Untertitel: 
  • Bildautor: Steve Schapiro
  • Textautor: Lonnie Ali, Matthias Harder, Steve Schapiro
  • Herausgeber: 
  • Gestalter: Julia Günther
  • Verlag: Hatje Cantz
  • Verlagsort: Ostfildern
  • Erscheinungsjahr: 2012
  • Sprache: deutsch, englisch
  • Format: 
  • Seitenzahl: 240
  • Bindung: Leinen, illustrierter Schutzumschlag
  • Preis: 49,80 Euro
  • ISBN: 978-3-7757-3426-4

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