Wer war Horst H. Baumann (1934-2019)? In Kassel denkt man bei Nennung dieses Namens sofort an das Lichtkunstwerk Laserscape, das Baumann 1977 zur 6. documenta geschaffen hatte und das dauerhaft installiert blieb. Es war zwischenzeitlich in seinem Bestand bedroht, doch 2007 wurde die Technik erneuert und seit 2020 leuchten beide Laserstrahlen samstags wieder zwischen Fridericianum und Herkules. Dass Baumann in den 50er- und 60er-Jahren als innovativer und erfolgreicher Fotograf tätig war, geriet derweil in Vergessenheit. Hans-Michael Koetzle ist es zu verdanken, dass man Baumann in einer aus dessen Nachlass gespeisten Ausstellung (noch bis 25.6.23 in Mannheim, 26.8.2023 bis 28.1.2024 in Köln) und in einem schönen Begleitband wiederentdecken kann, der keine Fragen offen lässt.
Wer Koetzle kennt, weiß, dass ihn beim Kuratieren nicht nur Abzüge interessierten, sondern dass er selbstverständlich (und das schon lange) auch Gedrucktes einbezieht, also Belege für Reportagen bzw. Veröffentlichungen in Illustrierten, Anthologien oder Büchern. Die zur Ausstellung erschienene, dezent-sachlich gestaltete Monographie berücksichtigt dies konsequent; zur Illustration der ersten 40 Seiten mit dem langen Aufsatz zu Leben und Werk verwendete Koetzle ausschließlich Reproduktionen von Veröffentlichungen. Es folgt eine üppige Auswahl an Schwarzweißmotiven (unterbrochen von der avantgardistischen Farbserie „Stahl“), an deren Ende eine Überleitung zu dem bekanntesten Werkkomplex mit den Fotos von Autorennen steht. Für diese griff Baumann zum Diamaterial und schuf, ähnlich wie seine Kollegen Erwin Fieger oder Peter Cornelius Inkunabeln der Farbfotografie der 1960er-Jahre. Höhepunkt war Baumanns, von Allan Porter hinsichtlich der Bildkapitel mit Reminiszenzen an den Film gestaltetes, auch in Englisch (New Matadors), Spanisch (Los Grandes Corredores) und Italienisch (mit besser passendem Titel Il Mondo delle Corse) erschienenes Buch Die neuen Matadore (1965), das zum ungewöhnlichsten zählt, was seinerzeit in Farbe realisiert wurde (was inzwischen auch in den Antiquariatspreisen zum Ausdruck kommt). Baumann experimentierte mit Unschärfen, monochromen Flächen und gewagten Perspektiven mit dem Ziel, eine adäquate Bildsprache zu finden für die Atmosphäre aus Dynamik und Konzentration, aus schnellen Rennwagen, ölverschmierten Motoren, fiebriger Spannung, mondänem Publikum und bunter Werbung. Ein Essay von Eberhard Reuss ist speziell dieser Serie bzw. der Buchveröffentlichung gewidmet. Weitere Arbeiten in Farbe runden die Bildstrecke ab. Am Schluss des Buches stehen ein kurzer Blick in das nun im Reiss-Engelhorn-Museum in Mannheim verwahrte Archiv des Fotografen und ein vom Herausgeber wie gewohnt akribisch recherchierter Anhang mit Biographie und Bibliographie.
Wohl dem Fotografen, der sowohl ein interessiertes Museum für die Bewahrung des Nachlasses findet, als auch dann noch das Glück hat, eine Retrospektive von einem solch engagierten Kurator ausgerichtet zu bekommen! Schade nur, dass Baumann die sein Werk als Fotograf feiernde und in den Diskurs zurückholende Monographie nicht mehr selbst sehen konnte.
- Titel: Apropos Visionär
- Untertitel: Der Fotograf Horst H. Baumann
- Bildautor: Horst H. Baumann
- Textautor: Hans-Michael Koetzle, Eberhard Reuss, Christoph Wieland
- Herausgeber: Hans-Michael Koetzle
- Gestalter: Hans-Michael Koetzle und Matthias Langner (Steidl Design)
- Verlag: Steidl
- Verlagsort: Göttingen
- Erscheinungsjahr: 2023
- Sprache: deutsch
- Format: 29,7 x 23,3 cm
- Seitenzahl: 336
- Bindung: Illustriertes Hardcover
- Preis: 48 Euro
- ISBN: 978-3-96999-174-9