Eine Flucht aus Tibet …

… und Manuel Bauer war dabei

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Die Frage, was ein „richtiges“ Fotobuch sei, wird oft gestellt. Also ein Buch, bei dem die Fotografie die tragende Rolle spielt und dabei nur als Buch vorstellbar ist, wo Gestaltung und Ausstattung stimmen.

Vor ein paar Wochen landete ein Band auf meinen Schreibtisch, den ich wegen seines Themas lange unschlüssig hin- und hergeschoben habe. Endlich habe ich die Verpackungsfolie geöffnet. Der weiße Einband trägt eine Inschrift, die folgendermaßen lautet: „Yangdol ist 6 Jahre alt. An der Hand ihres Vaters verlässt sie ihre Heimat, um Tibeterin zu bleiben. Wie bereits tausende Kinder vor ihr flüchtet sie über den 5716 Meter hohen Nangpa Pass nach Nepal und von dort nach Indien, wo der Dalai Lama im Exil lebt.“ Das ist alles. Öffnet man den Band, stößt man ohne bremsende Elemente wie Vorsatz oder Titelei unvermittelt auf das erste Schwarzweißfoto, wie alle anderen randlos auf eine rechte Seite gedruckt. Es ist eine Abschiedsszene. Am Ende der Bildstrecke ist Yangdol beim Dalai Lama angekommen und lächelt. Dazwischen der entbehrungsreiche Marsch von Vater und Tochter durch die Eiswüsten des Hochgebirges. Tagebucheintragungen des Fotografen Manuel Bauer, der 1995 die beiden begleitet hatte, stehen am Schluss des Buches. Dieses stimmt nachdenklich wegen der Notwendigkeit, die beschwerliche Flucht überhaupt auf sich nehmen zu müssen. Der eigentliche Widerhaken dieses Werkes ist aber die Rolle, die der Fotograf bei dem Geschehen gehabt haben mag, denn er war ja immer dabei. Die Idee einer neutralen Berichterstattung hatte Bauer schnell aufgeben müssen. Die Reportage erschien im Juli 1995 in der Zeitschrift DU und machte den 1966 geborenen Winterthurer Fotografen bekannt. Das machte ihm zu schaffen, befand er sich doch nun in der Zwickmühle, mit seiner Arbeit für die Tibeter etwas bewirken zu wollen und gleichzeitig für sich selbst etwas getan zu haben. Er brauchte drei Jahre, um seine „etwas persönlichere Sicht des Erlebten aufzuschreiben“ und 14 Jahre, um aus dem Bildern und den Aufzeichnungen ein Buch zu machen, das schließlich so dezent wie möglich gestaltet wurde, um der eigentlichen Erzählung den bestmöglichen Rahmen zu geben.

Herausgekommen ist ein in jeder Beziehung „richtiges“, großartiges Fotobuch zum Thema Flucht. Man kann ihm nicht entkommen, so wie der Fotograf seiner Verstrickung in die Geschichte von Yangdol nicht entkommen konnte.

  • Titel: Flucht aus Tibet
  • Untertitel: 
  • Bildautor: Manuel Bauer
  • Textautor: Manuel Bauer
  • Herausgeber: 
  • Gestalter: 
  • Verlag: Limmat Verlag
  • Verlagsort: Zürich
  • Erscheinungsjahr: 2009
  • Sprache: deutsch
  • Format: 
  • Seitenzahl: 208
  • Bindung: Hardcover
  • Preis: 39,50 Euro
  • ISBN: 978-3-85791-573-4

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