Zeig mir, wie Du wohnst und ich sage Dir, wer Du bist

Zwei Fotobücher über den Zusammenhang von Einrichtung, Lebensstil und sozialem Rang

NZZ_Ruiz_Cover

In Behausungen zu fotografieren, um zu einer Aussage über den Status deren Bewohner zu kommen, ist nicht neu und wird immer wieder gemacht. Dazu zwei Neuerscheinungen aus der Schweiz.

Ziemlich bekannt ist die seit 2006 laufende Serie „Wer wohnt da?“ in NZZ Folio, der Monatsbeilage der Neuen Zürcher Zeitung. Drei möglichst aussagestarke, sachlich darstellende, gut ausgeleuchtete Innenaufnahmen werden zwei Fachleuten vorgelegt (Architekt/Architektin, Psychologe/Psychologin), die dann von den Fotos auf den oder die Bewohner schließen und darüber schreiben. Am Ende wird das Rätsel aufgelöst und die Wohnungsinhaber erscheinen portraitiert in Text und Bild. Man lernt die Leute und ihre Lebensentwürfe auf diese Weise ganz zwanglos kennen und kommt oft aus dem Staunen nicht mehr heraus. Als Zusammenfassung von 40 besonders gelungenen Portraits erschien nun ein Buch, das zugleich das Flüchtige jeder Zeitungsbeilage bewahren hilft. Überraschend ist, auf welche Weise es die Gestalter geschafft haben, aus der Serie ein neues Ganzes zu machen: Der Buchblock in Offenrückenheftung ist lose in eine Art Flügelmappe eingelegt. Man kann den allerdings fragilen Textkörper als Klappenbroschur wie ein Buch, oder ohne Umschlag wie ein Magazin lesen. Pro Beitrag gibt es ein großes Bild, das auf der ersten Seite mit der Überschrift in einem schmalen Streifen angeschnitten wird. Auf der folgenden Doppelseite stehen Detailfotos und die Einschätzung der beiden Experten dem Hauptfoto gegenüber und auf der letzten Seite folgt die Auflösung zu den Wohnungsinhabern.

Auch das zweite Buch zum Thema Wohnen fällt durch eine gut durchdachte Gestaltung auf. Guadalupe Ruiz fotografierte in Bogota in Wohnungen, die sie in verschiedenen Viertel der Stadt aufgesucht hat. Diese sind nach Steueraufkommen klassifiziert und nach dieser Rangfolge ist auch das ganze Buch – sogar mit Griffregister! – geordnet. Es gibt zudem eine Kartenbeilage, die diese Sortierung visualisiert. In der Tat lassen sich Unterschiede in der finanziellen Leistungskraft der Bewohner anhand des Mobiliars und des Einrichtungsstils ausmachen. Keine Überraschung: Ärmere Leute haben weniger Geld als Reiche, auch wenn in jedem Fall sichtbar wird, dass man sich individuell nach eigenem Geschmack einrichten möchte. Dabei ist keine trockene soziologische oder anthropologische Studie entstanden, sondern eine künstlerische Arbeit, die visuell und ohne erhobenen Zeigefinger argumentiert.

Beide Bücher funktionieren über die Lust am Voyeurismus. Das man neugierig bleibt, ist vor allem den Gestaltern zu danken. Wann hat man schon einmal die Gelegenheit, die Privatwohnungen anderer Leute, sei es aus der wohlhabenden Schweiz oder aus den unterschiedlichsten Schichten Kolumbiens, so ansehenswert präsentiert in Augenschein nehmen zu dürfen?

  • Titel: Wer wohnt da?
  • Untertitel: 
  • Bildautor: Heinz Unger
  • Textautor: Gudrun Sachse und Berhold Rothschild, Ingrid Feigl, Jasmin Grego, Stefan Zwicky, Jörg Boner
  • Herausgeber: Gudrun Sachse
  • Gestalter: 2xGoldstein (mit Susanne Asher)
  • Verlag: Benteli
  • Verlagsort: Bern
  • Erscheinungsjahr: 2012
  • Sprache: deutsch
  • Format: 
  • Seitenzahl: 176
  • Bindung: Klappenbroschur
  • Preis: 38 Euro
  • ISBN: 978-3-7165-1736-9
  • Titel: Bogotá D.C.
  • Untertitel: 
  • Bildautor: Guadalupe Ruiz
  • Textautor: Joerg Bader
  • Herausgeber: Joerg Bader
  • Gestalter: B.ü.L.b. grafix
  • Verlag: Scheidegger & Spiess
  • Verlagsort: Zürich
  • Erscheinungsjahr: 2012
  • Sprache: deutsch, englisch, französisch, spanisch
  • Format: 
  • Seitenzahl: 148
  • Bindung: Englische Broschur, Bauchbinde
  • Preis: 38 Euro
  • ISBN: 978-3-85881-351-0

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