Die meisten Fotofestivals dürften den besonderen Umständen dieses Corona-Jahres zum Opfer gefallen sein. Nicht die siebte Ausgabe der Photobookweek (PWA) in Aarhus, die mit erhöhtem Einsatz unter Einhaltung aller in Dänemark aktuell geltenden Hygieneregeln und in absolut perfekter Organisation über die Bühne gehen konnte. Eine Qualität der PWA war schon immer ihre große Flexibilität bei der Programmplanung, ein Vorteil, der der Veranstaltung in der Zeit der dauernd wechselnden Empfehlungen und Vorschriften zugutekam. Das Programm musste notgedrungen etwas ausgedünnt bzw. umgestellt werden, denn die meisten ausländischen Gäste konnten nicht anreisen, waren aber per Videokonferenz anwesend oder hatten das Konzept ihres Beitrags zur Realisierung an das Team in Aarhus übermittelt. Alle Bücher, die gezeigt werden sollten, waren wie geplant vor Ort vorhanden. Als Generalthema hatten die Kuratoren um „Chief“ Moritz Neumüller „Seriality – Multiplicity – Repetition“ gewählt, was etwas abseits von eigentlichen Fotobüchern zu den nicht minder spannenden Beiträgen über Duchamp und Breton führte.
Durch die Verlagerung der Vorträge aus den Räumen der Architekturschule in das Auditorium des Aarhuser Kunstmuseums ARoS war nicht nur das Abstandhalten kein Problem, sondern es kamen sogar mehr Zuschauer. Die Technik machte es möglich, dass Lars Blunck direkt aus seinem Nürnberger Arbeitszimmer seinen akribisch recherchierten Vortrag über Marcel Duchamps Kunst-Reproduktionsstrategie am Beispiel des Flaschentrockners halten konnte. Der nachfolgende, ebenfalls Duchamp geltende Vortrag von Jacob Wamberg begann mit einer interessanten Beobachtung zur Signatur der Fotoreproduktion des berühmten Readymades Fountain, verlor sich dann aber in Spekulationen. Anschließend stand ein großer Reisebus zur Verfügung, um nach kurzer Fahrt nach Herning im Museum HEART eine frühe und rare Ausgabe von Duchamps in einer Box versammelten Werkbilanz Boite-en-Valise zu sehen. Das gastfreundliche Museumsteam hatte auch die Ausstellungsräume für die PWA-Gäste geöffnet, sodass u.a. ein Blick in die derzeitige Sonderausstellung mit Gemälden von Allan Otte möglich war.
Ein Schwerpunkt der PWA war und ist die Vorstellung von Fotobüchern aus bestimmten Ländern. Dieses Jahr ging es anhand des Buches Photobook Belge 1854 – Now um Belgien, allerdings ohne die Kuratorin Tamara Berghmans, die ebensowenig anreisen konnte wie John Fleetwood, der einen Einblick in die südafrikanische Fotobuchszene gab. Fleetwood war aber per Internet live zugeschaltet, um seine in der Galleri Image präsente Buchauswahl vorzustellen. Zudem gab es Videos zur Erläuterung einzelner Fotobücher. Nina Worren war persönlich angereist, um ihren engagierten Vortrag zu aktuellen norwegischen Fotobüchern zu halten. Sie hatte etliche, teils schon rare Bücher mitgebracht, darunter auch den originalen Dummy und die Erstausgabe des Buches 45 von Damian Heinisch, das inzwischen bei Mack in seiner endgültigen Form erschienen ist. Eine gute Idee war es, die Einsendungen zum diesjährigen Kasseler Dummy-Award nicht nur auszustellen, sondern Buch für Buch in kleiner, kompetenter Runde einer gemeinsamen Prüfung zu unterziehen. Zwei deutsche Einsendungen (Alina Simmelbauer, Garcias Töchter und Malte Uchtmann, Ankommen) sind (nicht nur) mir besonders aufgefallen und sollten keine Probleme haben, hierzulande einen Verlag bzw. ein Publikum zu finden. Bei der abschließenden Abstimmung stellte sich aber mit weitem Abstand das Buch Sokohi von Moe Suzuki aus Japan als dasjenige heraus, das den besten Eindruck hinterließ. Eine klare Story perfekt mit Fotos bzw. Reproduktionen und (bis auf die provisorisch wirkende Copy-Shop-Bindung) überzeugend in der Buchgestaltung visualisiert – die spätere Jury des Wettbewerbs wird es schwer haben, dieses Buch nicht in die engere Wahl zu ziehen. Als bemerkenswert bezeichnete die Runde der PWA-Fachleute noch Rato Tesoura Pistola von Pedro Guimaraes (Portugal), A Quest for Freedom Vol. 2 von Vinita Vilcane Krilova (Litauen) sowie Hier ist die Oberfläche von Paulina Mohr (Deutschland). Insgesamt fiel ein gewisser Mangel an guter und interessanter Fotografie auf, den man zuweilen durch ein Zuviel an Design und Layout – warum nur umfasste gefühlt jedes zweite Buch Inserts? – zu kompensieren trachtete.
Am Samstag ging es, jetzt wieder im Museum ARoS, um André Bretons Buch Nadja (1928), das seit der Erstausgabe immer mit einer besonderen Auswahl an Fotos illustriert wurde, was Anne Elisabeth Toft mit einer kleinen Ausstellung und im Gespräch mit Camilla Skovbjerg Paldam unter dem Aspekt „Portrait of a City“, nämlich Paris, erläuterte. Per Video zugeschaltet war anschließend der dänische Fotokünstler Per Bak Jensen, der von Jesper Rasmussen zu seinem in bislang 37 Büchern und Katalogen publizierten Werk befragt wurde. Rasmussen hatte dabei die nicht einfache Aufgabe, Jensens ausführlichen, offenbar mit viel Witz, aber auf Dänisch gegebenen Antworten für die internationalen Gäste ins Englische zu übersetzen. Die Bücher lagen im Original als Ausstellung im ARoS bereit – eine Entdeckung!
Der abschließende Sonntag führte in einen neuen, wiederum erfreulich gut besuchten Veranstaltungsort, den ehemaligen Güterbahnhof („Godsbanen“), in dessen riesiger Halle der Büchermarkt mit dem nötigen Abstand und viel Platz für die Präsentationen von Verlagen, Galerien, Buchhändlern und Antiquaren stattfinden konnte. Zudem hatte die PWA ca. 50 Publisher aus ganz Europa dazu eingeladen, je ein Buch aus ihrem Programm für eine Verkaufsausstellung einzuschicken. Außerdem präsentierten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des von Paula Roush geleiteten Workshops zur Fotobuchgestaltung die Ergebnisse ihrer Arbeit und am Ende fand eine kleine Diskussionsrunde zum Thema „Zukunft des Fotobuchs“ statt, deren Fazit war, dass es ungemein wichtig ist, in Form von Veranstaltungen wie der PWA in Kontakt zu bleiben, damit das Medium Fotobuch weitere Kreise erreicht. Begeisterung kann vor allem dann geweckt werden, wenn man die Bücher im Original sehen kann, wozu in Aarhus trotz der Einschränkungen einmal mehr eine sehr gute Gelegenheit bestand.
Fotos: TW (13), Ruth Lahrmann (1)