Es ist schon etwas Besonderes, wenn ein Fotobuchfestival sein zehnjähriges Bestehen feiern kann. Bislang gelang das nur dem ersten Festival dieser Art in Kassel – aber danach war leider Schluss. Für die Photobookweek (PWA) in Aarhus konnte dieses Jubiläum in diesem Jahr ebenso gefeiert werden wie für das Festival Books on Photography in Bristol. Bei beiden wird das 10. sicherlich nicht das letzte Mal gewesen sein.
Die PWA ist die wohl kleinste und familiärste Veranstaltung dieser Art. Sie wird nicht von einer großen Institution getragen, sondern vom Engagement der schon 1977 gegründeten Galleri Image und von interessierten Lehrkräften der Architekturschule. Die Photobookweek hat inzwischen ein lokales Netzwerk aufgebaut und in die Programmplanung einbezogen, so die Stadtbibliothek DOKK1, das Kunstmuseum ARoS, das Veranstaltungszentrum Godsbanen sowie das Kunstmuseum HEART in der etwa eine Stunde entfernten Stadt Herning. Und so trifft sich Jahr für Jahr eine interessierte Gruppe von Enthusiasten im Herbst in der dänischen Stadt an der Ostsee und kann ein von „Chiefcurator“ Moritz Neumüller und seinen örtlichen Co-Kuratoren Beate Cegielska, Jesper Rasmussen und Anne Elisabeth Toft zusammengestelltes, immer wieder abwechslungsreiches Programm genießen.
Dieses Mal hieß das Oberthema „Die Welt ist schön“ – schön, aber nicht heile, müsste man ergänzen. In diesem Zusammenhang war besonderes Augenmerk auf Künstliche Intelligenz (KI) gelegt, die für die Fotografie Chancen und Gefahren birgt, nämlich Arbeitserleichterungen auf der einen und die Möglichkeit, problemlos Fake-Bilder zu schaffen, auf der anderen Seite. Letztendlich war die Fotografie nie so objektiv und unbestechlich, wie man es ihr schon immer andichtete; man wird also den Umgang mit den neuen Möglichkeiten lernen müssen. Ein Wettbewerb, bei dem KI eingesetzt werden musste, wurde mit einer Vorführung der zehn in die Endrunde gekommenen Einsendungen und der Bekanntgabe der Gewinner abgeschlossen. Hätte das Publikum abstimmen dürfen, hätte vielleicht der eigens angereiste Camilo Echeverri für seinen Beitrag „El Mato“ gewonnen. Echeverri erzählt in einer realistischen, aber nur mit Mitteln der KI erreichbaren Darstellungsweise eine irritierende Geschichte aus dem südamerikanischen Urwald. Aber die Jury setzte „El Mato“ nur auf den zweiten Platz.
Vorträge und Präsentationen gab es in diesem Jahr unter anderem zu aktuellen Fotobüchern aus Estland (Triin Kerge), zu diversen Themen der KI (vor Ort Signe Klejs und Olle Essvik, der zusätzlich auch eine Performance gestaltete; via Zoom zugeschaltet waren David Fathi und Boris Eldagsen) und zum Amerika-Buch von Erich Mendelsohn (Gerry Badger) sowie ein Gespräch zum Werk von Candida Höfer (Jens Friis, Anne Elisabeth Toft, Moritz Neumüller). Durch ihre engagierte, lebhafte und unterhaltsame Vortragsweise lenkten Frédérique Deschamps und Olubukola Gbadegesin den Blick auf „Photonovels“, Fotoromane, und zwar mit den Schwerpunkten katholische Länder in Europa und Nigeria. Beide Referentinnen hatten einige Originalbeispiele für eine herrliche Ausstellung mitgebracht, die in der Aarhuser Stadtbibliothek DOKK1 zu sehen war und von den beiden Kuratorinnen couragiert erläutert wurde. Das Thema des Zehnjahresjubiläums wurde von José Luis Neves aufgegriffen, der in seinem Vortrag die in der letzten Dekade publizierten Bücher über Fotobücher kategorisierte. Rolf Sachsse schließlich hätte noch mehr zu Candida Höfer erzählen können, sprach aber in Anknüpfung an seinen Besuch zur ersten Photobookweek 2014 über die Frage, was Fotobücher zu Architekturthemen ausmacht. Dieses Thema wurde mit einer zusätzlichen Bücherausstellung vertieft.
Der abschließende Buchmarkt war gut bestückt – und erstaunlich gut besucht, was man für den Rest der PWA nicht unbedingt sagen kann. Werbung, die einen langen Vorlauf bedürfte, kann angesichts des komplizierten, auf Sponsorengeldern basierenden Finanzierungsmodells, bei dem sich erst spät klärt, wie das Programm aussehen wird, kaum seriös geplant werden. So blieb das Festival von der Zahl der Teilnehmenden her wieder überschaubar, was aber der Stimmung in der „Familie“ keinen Abbruch tat.
Zuletzt soll noch ein Programmpunkt erwähnt werden, an dem der Berichterstatter selbst beteiligt war, nämlich an einer gemeinsam mit Vreni Hockenjos (Wien) erarbeiteten Ausstellung zum Thema fotoillustrierte Kinderbücher, die im Museum HEART in Herning noch bis 14.1.2024 zu sehen sein wird. Es war und ist ein mit zugegeben bescheidensten Mitteln realisierter Versuch, einen Überblick zu diesem bislang kaum, jedenfalls nicht für Ausstellungen, aufgearbeiteten Fotobuchgenre zu geben, wobei besonderes Augenmerk auf dänische Bücher gelegt wurde.
Eine Publikation mit Beiträgen aus der zehnjährigen Geschichte der Photobookweek soll zur nächsten Ausgabe im Herbst 2024 in Aarhus vorgestellt werden. Die PWA wird damit ihre eigene Historie dokumentieren, was bislang kein anderes Festival geschafft hat. Durch solche Initiativen und durch die immer wieder innovativen Ansätze, den Themenmix aus alt und neu, den Verzicht auf Stars und nicht zuletzt durch das Festhalten an einigen Standards und lieb gewonnenen Traditionen (Handzettel/Listen der Exponate zu wirklich jeder Ausstellung, diverse Schauplätze in der Stadt, am Ende Gruppenbild der Beteiligten, gemeinsame Abendessen), behauptet die kleine, aber feine Veranstaltung mit ihrer Wohlfühlatmosphäre ihren Platz ganz vorn in der Reihe der Foto(buch)festivals.
Fotos: Ruth Lahrmann (2), alle anderen Th.Wiegand