Den fernen Osten selbst erlebt

Zwei Bücher zum 20. Jahrestag der Maueröffnung

East groß

Das Ende der DDR wurde ausgiebig gefeiert, Festakte, Ausstellungen, Fernsehsendungen und natürlich Bücher zum Thema buhlten mehr denn je um Aufmerksamkeit.

Freudentrunkene Ostbürger, die legal die Grenzsperranlagen überwinden, um dann im Westen den Fußgängerzonen ein Allzeithoch an Besuchern zu bescheren, sind derzeit in Publikationen omnipräsent. Doch es gibt auch stillere, subtilere Arbeiten. Beispielsweise eine Ausstellung und ein Buch, die unter dem Titel „Zu Protokoll“ dem persönlichen Erleben der Tage vor und nach dem Mauerfall gewidmet sind. Beiläufig entstandene Fotos sind chronologisch vom 3.8.1989 bis zum 3.1.1990 angeordnet, ergänzt durch tagebuchartige Texte der Bildautoren. Das Besondere daran ist, dass Fotografen und Fotografinnen sowohl aus dem Westen als auch aus dem Westen beteiligt sind und die Motive in einem höchst subjektiven Zusammenhang mit den Ereignissen in Deutschland stehen. Es ist immer wieder berührend, diesen inneren Verbindungen nachzugehen. Das von Frank-Heinrich Müller konzipierte, durch seinen Leinenrücken wunderbar in der Hand liegende Werk ist ein weiterer Baustein in der von dem Gasversorgungsunternehmen VNG geförderten Reihe fotokünstlerischer Projekte zu den neuen Bundesländern. Wenn man so will, sind die nunmehr vier Bücher, die dieses Engagement seit 1994 dokumentieren, auch ein Musterbeispiel eines klugen, nachhaltigen Marketings.

Auf sich allein gestellt bei der Erkundung des „fernen Ostens“ war Sabine Würich (* 1962). Ihre ältesten Fotos von 1989 zeigen die Grenze in Blickrichtung von West nach Ost, die späteren entstanden bis 2008 irgendwo in den neuen Bundesländern. Die Schwarzweißbilder sind grundsätzlich menschenleer und handeln zumeist von architektonischen Sujets. Hin und wieder wurde die Kamera gekippt, zuweilen gibt es expressive Streif- oder Gegenlichtsituationen. Oder, im Originalton der Künstlerin: „Das Kunstprojekt, eine Langzeitstudie über Ostdeutschland, untersucht die bauliche Umgestaltung Ostdeutschlands, wobei Architektur als visuell fassbarer Träger gesellschaftlicher Prozesse begriffen wird.“

Der Bilderreigen schließt sich aber trotz des schönen Konzepts nicht zu einem homogenen Werk zusammen. Liest man dann noch die pseudoinformativen Texte (jeweils mit Angaben der recherchierten Literatur oder Internetquellen!) beschleicht den Rezensenten ein Gefühl von Wankelmut zwischen dokumentarischer Treue und subjektiver Impression und, leider, von einer gewissen Beliebigkeit (nebenbei: Apolda liegt in Thüringen, nicht in Sachsen-Anhalt). Wenn schon ein subjektives Erleben der DDR oder des Mauerfalls, dann bitte so, wie „Zu Protokoll“ gegeben.

  • Titel: East
  • Untertitel: Zu Protokoll - For the Record
  • Bildautor:  76 Fotografinnen und Fotografen
  • Textautor: Hans-Dietrich Genscher (Vorwort), Christoph Dieckmann (Einleitung)
  • Herausgeber: Frank-Heinrich Müller
  • Gestalter: 
  • Verlag: Steidl
  • Verlagsort: Göttingen
  • Erscheinungsjahr: 2009
  • Sprache: deutsch, englisch
  • Format: 
  • Seitenzahl: 320
  • Bindung: Halbleinen
  • Preis: 38 Euro
  • ISBN: 978-3-86521-929-9
  • Titel: Der ferne Osten - The far East
  • Untertitel: Fotografien aus Ostdeutschland 1989–2009
  • Bildautor: Sabine Würich
  • Textautor: Sabine Würich, Wolfgang Thierse, Christel Wester
  • Herausgeber: 
  • Gestalter: 
  • Verlag: Kerber
  • Verlagsort: Bielefeld
  • Erscheinungsjahr: 2009
  • Sprache: deutsch
  • Format: 
  • Seitenzahl: 138
  • Bindung: illustriertes Hardcover
  • Preis: 35 Euro
  • ISBN: 978-3-86678-265-5

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