Die Fotoflut ist da – was nun?

Eine Tagung und eine Untersuchung zu Strategien im Umgang mit Bildbeständen

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Ein unablässiger Strom von Bildern flutet durch die Welt… und fließt irgendwann einmal in die Archive und Bibliotheken. Jedenfalls ein Teil dieser Flut, denn wer soll schon der schier unendlichen Menge an Fotos, Filmen und anderen bildlichen Darstellungen aufnehmen, wer soll dies alles betreuen, wer soll das alles bearbeiten? Ein Archiv muss Strategien entwickeln, um der ewig anbrandenden Menge an Bilddokumenten überhaupt Herr zu werden. Schlecht oder nur unzureichend verzeichnete Fotografennachlässe mit tausenden von Abzügen und abertausenden Negativen warten auf ihre Aufnahme in ein Archiv – oder sie verschwinden im Strudel des Vergessens. Auch gut, dann verursachen die Massen eben keine Arbeit, denn die könnte ja ohnehin niemand bezahlen…

Zu kurz gedacht? Früher gab es weniger Bilder, weniger Fotos, daher sind die Altbestände der Archive noch übersichtlich. Vor der Flut kapitulieren? Das Leben ist komplexer geworden, daher muß es auch die bildliche Überlieferung sein. Das Zentrum für Fotografie in Winterthur führt zu Fragen des visuellen Gedächtnisses, zu Bildspeichern, zum Umgang mit dem Sammeln und mit Sammlungen eine Tagung durch (26.6.06), die aus Anlaß einer Ausstellung über „vergessene und verkannte“ Bestände in der Sammlung der Fotostiftung Schweiz stattfindet.

Einer der Referenten der Tagung wird Matthias Vogel sein. Er ist Mitautor eines Ergebnisbandes, der eine Untersuchung zum visuellen Gedächtnis der Schweiz abschließt. Anhand von rerpäsentativ ausgewählten Bildarchiven untersuchten die Wissenschaftler der Hochschule für Gestaltung und Kunst im Hinblick auf eine Bestandsanalyse, die Mechanismen, die die Neuaufnahme von Archivgut regeln, die Verfahren zum Erschließen und Sichern des Archivgutes, dessen Zugänglichkeit und das Benutzerverhalten. Der Forschungsbericht enthält über 600 Abbildungen, ohne ein Bildband zu sein. Das wunderbar übersichtlich und lesefreundlich gestaltete Buch argumentiert mit Hilfe der Tableaus mit den kleinformatigen Beispielabbildungen vor allem im Bereich der Bestandsanalyse. Die anderen Aufgaben werden in Hinblick auf das Ziel abgearbeitet, „Archive anzuregen, Fotografien auszuwählen deren Informationsgehlt im Hinblick auf Geschichte, Gegenwart und Zukunft möglichst gross ist, diesen Gehalt bei der Erfassung und Speicherung der Bilder zu bewahren und ihn an die BildanwenderInnen weiterzugeben“ – und das alles in ökonomisch vertretbaren und geregelten Bahnen (S.8). Es läuft also also auf eine Auswahl derjenigen Bilder hinaus, die zu bevorzugen sind beispielsweise hinsichtlich Digitalisierung, und Restaurierung. Dazu muß man die Fotos lesen können, muß verstehen, was auf ihnen zu sehen ist. Mit Wissen um die Inhalte und um die erforderlichen Arbeitsprozesse bis hin zur zweckmäßigen Einrichtung einer Datenbank, ohne die ein Bildarchiv praktisch nicht mehr zu betreiben und zu benutzen ist, ließen sich Extrempositionen vermeiden, nämlich eine uferlose Aufnahme von Allem bzw. die Absicht, wirklich alle Bestände zu bearbeiten und damit auf Jahre deren Benutzung lahm zu legen, oder aus Hilflosigkeit eine radikale Kassation zu betreiben – beides Katastrophen für das visuelle Gedächtnis und die Pflege der kollektiven Erinnerung.

Der Forschungsband gehört als anregende Lektüre in die Hand jeden Archivars, der in der Bilderflut unterzugehen droht. An Hand der Schweizer Archive wird gezeigt, daß Dämme und Schleusen gebaut werden können, ohne die bewahrenden und vermittelnden Funktionen eines Archivs zu vernachlässigen. Es gibt keine Patentrezepte, aber immerhin beispielhafte Lösungen. Land ist in Sicht!

 

  • Titel: Das Menschenbild im Bildarchiv
  • Untertitel: Untersuchung zum visuellen Gedächtnis der Schweiz
  • Bildautor: 
  • Textautor: Matthias Vogel, Ulrich Binder, Flavia Caviezel
  • Herausgeber: 
  • Gestalter: 
  • Verlag: Limmat Verlag
  • Verlagsort: Zürich
  • Erscheinungsjahr: 2006
  • Sprache: deutsch
  • Format: 
  • Seitenzahl: 144
  • Bindung: Klappenbroschur
  • Preis: 27 Euro
  • ISBN: 3857914963

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