Dokumentieren, sammeln, bewahren

Was Geschmackspuristen, Designfetischisten und Architekturkritikern kalte Schauer über den Rücken jagt, das hat John Margolies in gut vier Jahrzehnten auf mehreren zehntausend Fotos festgehalten: quietschbunte überdimensionierte Werbetafeln, Motels, Herbergen und Tankstellen die „Komm rein!“ zu schreien scheinen. Drive-Ins in Form von Milchkannen, Flaschen oder Kaffeepötten, monströs-liebenswürdige Tiere, Monster und Gemüse aus Pappmaschee, Plastik und Holz, die mehr oder weniger sinnlos in der Landschaft stehen.

An Highway oder Main-Street anhalten, Kamera raus, draufhalten weiter – das ist seine Devise. Der Himmel spannt sich stets in sattem Blau über die prallfarbige Konsumwelt des American Way of Life. Bernd und Hilla Bechers respektable Strenge in Schwarzweiß geht Margolies also ab. Aber sein Interesse ist das gleiche: dokumentieren, sammeln, bewahren, was langsam aber sicher verschwindet. Denn wie die alten (gemütlichen) Roads den geradlinig-hektischen Interstate-Routen Platz machten, so wurde die hochindividuelle, nie auf Dauer angelegte Werbekultur an den Straßenrändern von den normierten Massenbotschaften und einheitlichen Designstandards der Shopping-Malls verdrängt. Übrigens verleiht auch Margolies seinen fotografierten Objekten die Aura skulpturaler Einsamkeit, allein schon deshalb, weil bei ihm, wie bei den Bechers, niemals Menschen zu sehen sind, die doch Zielgruppe der Werbung eigentlich dahingehören.

Ob Margolies im Pantheon der großen Fotografen Aufnahme findet, wird sich zeigen. In der US-amerikanischen Denkmalschutzbewegung ist er bereits eine feste Größe. Das vorliegende Buch würdigt ihn in angemessener Weise mit einem ausgezeichneten Vorwort und einem (von kleinen Orts- und Zeitangaben abgesehen) unkommentierten und unaufgeregt gestalteten Bildteil: Eine Reise in die Alltagskultur und das Herz der uramerikanischen Identität.