Schon die Coverfotografie – Straßenszene an Bushaltestelle – ist umwerfend. Ein älterer Mann, weißes T-Shirt, mit einem in Fetzen hängendem Kinnpflaster, die Zigarette in der verbundenen Hand, blinzelt lässig in die Sonne. Eine dieser streng wirkenden hageren amerikanischen Omas in Mantel und mit Hut, Stock und Handtasche steht, leicht versetzt, dahinter und betrachtet den Mann misstrauisch. Und dann dieser knallrote Briefkasten. Alles fein in den Bildraum hinein gestaffelt. Die Sonne steht tief, die Schatten sind lang. Der Fluchtpunkt verliert sich in der diesigen grau-blauen Unendlichkeit der nordamerikanischen Großstadt.
Alles wirkt wie zufällig erfasst, aber nichts ist dem Zufall überlassen: ein perfektes amerikanisches Stillleben. Aufgenommen hat es ein Deutscher, Fred Herzog. 1930 in Bad Friedrichshall geboren, wanderte er 1952 nach Toronto (Kanada) aus. 1953 ging er nach Vancouver. Seit 1957 arbeitete er dort als medizinischer Fotograf. 1961 wurde Herzog Leiter der Foto- und Filmabteilung am Bereich Biomedizinische Kommunikation der University of Britisch Columbia, einen Posten, den er bis 1990 innehatte. Zwischenzeitlich lehrte er an zwei kanadischen Universitäten Fotografie. Soweit der dürre Lebenslauf.
Der Katalog zur ersten Herzog-Ausstellung in Deutschland (Galerie C/O Berlin) ist die erste deutschsprachige Monografie zu Fred Herzog überhaupt. In seiner Gestaltung erinnert das Buch wohl nicht zufällig an „William Eggleston’s Guide“: das annähernd quadratische Format, der schwarze Buchdeckel mit dem Bild, die überwiegend auf der rechten Seite angeordneten Fotografien.
Zählt Eggleston gemeinhin zu den bedeutendsten Vertretern der Farbfotografie seit den 1970er Jahren, so fotografierte Herzog bereits seit Mitte der 50er Jahre in Farbe. Straßenszenen, Läden, Passanten, Straßenkreuzer vor verfallenden Siedlungen – Stadttristesse im Detail und in der Totalen. Nicht das Touristische interessiert Herzog, sondern das Abseitige, Banale, Belanglose, Hässliche. Farbe ist bei ihm nicht nur schöner Effekt, sondern Aspekt dokumentarischer Wahrhaftigkeit und Stilmittel zur Wirkungssteigerung, wobei gerade Rot bei ihm eine fast leitmotivisch-magische Bedeutung erhält.
Fred Herzog ist für Deutschland eine Entdeckung, obwohl er seit 1966 vor allem in Kanada und USA in Einzel- und Gruppenausstellungen präsent ist. Der von Claudia Gochmann umsichtig eingeleitete Band ist vorzüglich und zurückhaltend gestaltet und wird von einem Interview ergänzt. Darin sagt Herzog: „Erstaunlich finde ich, dass ich scheinbar von Anfang an großartige Bilder eingefangen habe.“ Nicht nur „scheinbar“!
- Titel: Fred Herzog – Photographs
- Untertitel:
- Bildautor: Fred Herzog
- Textautor: Claudia Gochmann, Fred Herzog im Gespräch mit Stephen Waddell
- Herausgeber: Felix Hoffmann, C/O Berlin
- Gestalter:
- Verlag: Hatje Cantz
- Verlagsort: Ostfildern
- Erscheinungsjahr: 2010
- Sprache: deutsch, englisch
- Format:
- Seitenzahl: 192
- Bindung: illustriertes Halbleinen
- Preis: 29,80 Euro
- ISBN: 978-3-7757-2811-9