Großes Gespür für Timing und Komposition

Wenn Paul McCartney im „Spiegel“-Interview zu Protokoll gibt, er habe die jetzt veröffentlichten Fotos seiner ersten Frau Linda McCartney (1941-1998) im Keller ausgegraben, kann man das ruhig als Beitrag zur Mythenbildung werten. Oder sich darüber wundern, dass er die Bücher seiner ersten Frau nicht im Wohnzimmerregal stehen hat. Denn einige Bilder erschienen bereits in „Linda’s Pictures“( Alfred A Knopf 1976) oder in „Sixties. Portrait of an Era“ (Reed 1993 und Schirmer/Mosel 1993). Macht aber nichts, denn die Fotos sind wirklich so gut, dass man sie getrost wieder veröffentlichen kann. Der vorliegende großformatige Band ist ein Querschnitt durch Linda McCartneys Lebenswerk, daher „Life in Photographs“.

Dieses Fotografinnenleben zerfällt ist zwei Teile: Die Sechziger Jahre und danach. Die Sechziger, das waren Porträts und Konzertfotos von allen, die damals im Musikbusiness Rang und Namen hatten, Bildreportagen für Magazine: Man begegnet den Beatles, den Rolling Stones, Jimi Hendrix, Janis Joplin, den Doors oder Frank Zappa. Die Auflösung der Beatles im Jahr 1970 markiert das Ende der Ära. Es folgt der Rückzug ins Private. Die McCartneys kriegen Kinder, pflegen das Landleben. Linda fotografiert die Familie und die Haustiere, es gibt Reiseimpressionen, Stillleben, was halt so vor die Linse kommt. Später dann – seit den Achtzigern wieder vereinzelt Musiker – wie etwa der junge Michael Jackson im Gespräch mit dem Gatten Paul oder Künstler wie Willem de Kooning oder das Atelier Francis Bacons. Bei den Familienfotos beschleicht einen bisweilen das Gefühl als blättere man in einem privaten Fotoalbum, das einen eigentlich nichts angeht. „Oft machte sie nur ein einziges Bild, während andere Fotografen Dauerfeuer schossen“, sagt Paul McCartney im „Spiegel“. Auch habe sie den Bildausschnitt später nicht mehr verändert. Ihre Fotos – das gilt für die Konzertfotos wie für die Familienbilder – wirken nie gestellt und sind in der Tat von beeindruckender Unmittelbarkeit mit großem Gespür für Timing und Komposition. Das spiegelt sich auch in der zurückhaltenden, ausgewogenen und in sich schlüssigen Gestaltung des Bandes wider, der mit erfreulich wenig Text im Anhang auskommt.