Kein Spaß

Der Tod kommt später, vielleicht, meint Jörg Gläscher

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Ein fotografisch schwieriges Thema war die Bundeswehr schon immer. Die Staatsbürger in Uniform haben durch die Ausweitung ihres Wirkungsbereichs mehr Praxis erwerben können als es vielen Mitbürgern vielleicht lieb ist. Jörg Gläscher (* 1966), ehemals Student bei Timm Rautert und heute im Dienste einer Agentur für große Zeitungen und Illustrierte unterwegs, ist über Jahre immer wieder in Kontakt mit der militärischen Wirklichkeit deutscher Soldaten gekommen: Übungen und Manöver in der heimischen Provinz, der Ernstfall in Afghanistan, an Bord in der Ostsee oder an Deck im Golf von Aden. Es gibt weder spektakuläre Kampfszenen aus vorderster Front noch Blutlachen, schreiende Zivilisten oder zerschossene Häuser. Die auf der Straße Liegenden sind aufgrund der Fachwerkkulisse sofort als Teilnehmer einer Übung in einer „Ortskampfanlage“ zu erkennen (S.65, 113). Ohne diesen Hinweis ist das schon schwieriger (S.55), aber noch immer bewegt sich der Fotograf am Rand der Rhön und nicht im Hindukusch. Die wie ausgeschnitten wirkende, hübsch bunt angemalte Plakatwand in Form einer Moschee (S.67) mag zum Zielschiessen so praxisnah sein wie Dummy-Schafe und eine Pappkameradin (S. 99 und 109). Gläscher deutet die Praxis des Kriegshandwerks mehr an als dass er konkret wird. Skurrile Stillleben, martialische Waffen, ernste Mienen, abgewandte Blicke, Tarnanzüge, ein gemalter Glanz- und Gloriageneral an der Kasernenwand, schummerige Nachtaufnahmen mit Restlichtverstärker. Sujets, die den Betrachter hin- und herreißen.

Gläscher gelingt es, aus seinem über Jahre gut gefüllten Archiv eine über eine bloße Story für die Zeitung hinausgehende Verdichtung zu erreichen. Aus Fotos wird ein Fotobuch, das wunderbar uneindeutig geraten ist. Der lakonische Bildessay gipfelt auf Seite 75 in dem ganz einfachen Motiv eines roten Kissens, das ein Soldat mit Kampfhose und -stiefeln hinter dem Rücken mit verschränkten Armen fest im Griff hält: Warntafel, Blut, Bequemlichkeit, Geborgenheit, Weichheit, Entschlossenheit, Erschöpfung. Mehr braucht Gläscher nicht, um eine Armee zu zeigen, die zwischen gesetzlichem Auftrag, Übungsroutine und traumatisierenden Ernstfällen ihren schwierigen Weg zu finden hat.

  • Titel: Der Tod kommt später, vielleicht
  • Untertitel: 
  • Bildautor: Jörg Gläscher
  • Textautor: Holger Witzel, Ingo Schulze, Jochen Missfeldt, Kathrin Schmidt, Peter Bialobrzeski, Tanja Dückers, Wolfgang Prosinger
  • Herausgeber: 
  • Gestalter: Tom Unverzagt
  • Verlag: Kehrer
  • Verlagsort: Heidelberg
  • Erscheinungsjahr: 2011
  • Sprache: deutsch
  • Format: 
  • Seitenzahl: 136
  • Bindung: illustriertes Hardcover
  • Preis: 36 Euro
  • ISBN: 978-3-86828-266-5

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