Mythos Paris

Jean Claude Gautrands fotografisches Stadtporträt

Paris1

Eine makellose Odaliske auf einem Bärenfell liegend über den Dächern von Paris. In den Handspiegel schauend, bringt sie gelangweilt zum Ausdruck, dass sie sich eigentlich nur für sich selbst interessiert. Der Betrachter sieht aber nun beides, die Nackte von hinten sowie die Stadtlandschaft von oben, und in seinem Kopf geht’s gleich drunter und drüber: O lala, c’est la vie, Paris du allerschönstes Liebesnest! Es ist noch viel mehr drin in diesem dicken Bilderbuch und in unserem kulturellen Gedächtnis: Montmartre und Brigitte Bardot, Eiffelturm und Ives Saint Laurent, die Barrikaden der Kommune und die frivolen Damen im Crazy Horse, Doisneaus „Kuss“, die Clochards und spielenden Kinder und jene Lokomotive, die durch die Mauer des Bahnhofs Montparnasse krachte, um sich in das Pflaster und unser Bewusstsein zu bohren.

Die Stadt an der Seine ist ein Mythos, und es ist klar, dass das Heer von bekannten und unbekannten Fotografen daran enormen Anteil hatte, immerhin wurde in Paris die Fotografie erfunden.

Von daher verwundert es kaum, dass Herausgeber Jean Claude Gautrand, der als Fotograf selbst einige Weg weisende Fotobücher gestaltet hat, den Schwerpunkt dieser fotografischen Kulturgeschichte auf die Zeit von 1830 bis in die fünfziger Jahre des 20. Jahrhundert legt. Mehr als 500 Fotos versammelt der Großband auf über 600 Seiten und man ist erstaunt, dass er erst jetzt erscheint. In gleicher Aufmachung liegen bereits Bände über Berlin, China, Los Angeles und New York vor. Über die Zahl der Fotografen wird keine Angabe gemacht, neben vielen anonymen ist vertreten, wer Rang und Namen hat, wir sparen uns eine willkürliche Aufzählung. Fünf Kapitel, die sich an den üblichen historischen Epocheneinteilungen – 1830, 1871, 1914, 1939,1959 – orientieren und jeweils von einem Essay eingeleitet werden, strukturieren das gelungen angeordnete Bildmaterial.

Das Buch schwächelt, je näher die Gegenwart rückt, vielleicht liegt es daran, dass Paris seine prägende Kraft eingebüßt hat und es schwerer fällt, das Besondere noch auszumachen. Das Kapitel „1959-2011“ umfasst gerade mal 71 Seiten. So findet man etwa von Bettina Rheims, die mit ihrer Serie „Chambre Close“ Furore machte, nur ein laues Selbstporträt, wo man es kaum erwartet, hinter dem Impressum auf S. 624. Was fehlt, kann man in Koetzles Eyes on Paris – Paris im Fotobuch 1890 bis heute sehen: Bilder von Roman Urhausen, André Matin, Fred Wander, Andreas Gursky, Nicolas Moulin Pierre Jouve u.a., deren Paris-Bücher Koetzle ausführlich vorstellt.

  • Titel: Paris
  • Untertitel: Portrait d’une ville - Portrait of a City- Porträt einer Stadt
  • Bildautor: diverse
  • Textautor: Jean Claude Gautrand
  • Herausgeber: Benedikt Taschen
  • Gestalter: Andy Disl
  • Verlag: Taschen
  • Verlagsort: Köln
  • Erscheinungsjahr: 2011
  • Sprache: französisch, englisch, deutsch
  • Format: 35 x 25,5 cm
  • Seitenzahl: 624
  • Bindung: Hardcover, Schutzumschlag
  • Preis: 49,99 Euro
  • ISBN: 978-3-8365-0293-1

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