Lebensmittelproduktion zwischen Kunst und Kritik

Ein neues Fotobuch von Michael Schmidt

Schmidt_Cover

Michael Schmidt muss niemandem mehr etwas beweisen. Seine Serien über Berlin haben ihn zu einem einflussreichen und seine Zyklen Waffenruhe und EIN-HEIT zu einem etablierten Künstler gemacht. Sein letztes Buch (mit aktuellen Arbeiten) erschien vor Jahren und war ein nicht ganz unironisches Portrait Deutschlands unter dem Titel „Irgendwo“. Nun folgt ein eigenwilliges Statement zur Lebensmittelproduktion im industriellen Maßstab. Felder unter Folie, Zutatenlisten und Beipackzettel, Maschinen, Erntearbeiter (immer dezent von hinten fotografiert), zum Verzehr vorgesehene Tiere, zwischen „igitt“ und „aha“ changierende Nahaufnahmen von Wurstwaren, Früchte einzeln in Farbe oder als gestapelte Massenware in Schwarzweiß, manches auch rätselhaft. Kunstgeschichtliche Bezüge sind unübersehbar, so zu den Agrarlandschaften von Schmidts Kollegen Heinrich Riebesehl und damit zu des Künstlers eigenen Wurzeln in den 1970er-Jahren, zu den verführerischen Paprika-Stillleben von Edward Weston oder bis hin zu Fotografen, die Mahlzeiten zu Foto-Kunstwerken machten wie Nobuyoshi Araki (The Banquet) oder Ralf Schmerberg (Dirty Dishes).

Sind Schmidts wie immer lakonischen Bilder schön oder kritisch? Hängt man sich so etwas an die Esszimmerwand als stille Mahnung, sich künftig vegan zu ernähren oder wenigstens naturnah beim Biobauern einzukaufen? Vergessen sollte man dabei nicht, dass sich das nicht jeder leisten kann und dass der Vorrat an Biolebensmitteln begrenzt ist. Man kommt also bei Fragen der Lebensmittelversorgung schnell ins Grübeln sowohl über die eigene Haltung als auch über die globale Situation mit Themen wie Tierschutz, Bodenerosion, Klimawandel und und und. Wird ein solches Nachdenken von Michael Schmidts neuem Buch angestoßen oder ist so etwas nicht ohnehin en vogue aufgrund der zahlreichen Skandale und Zumutungen, die uns die Lebensmittelbranche immer wieder beschert? Kann eine nicht-journalistische Fotoserie, kann ein Künstlerbuch etwas zur Diskussion über industrielle Nahrungsmittelproduktion beitragen, gerade dann, wenn dafür mit einer Mischung aus nüchternen Bilddokumenten und ästhetisch ambivalenten Warenpräsentationen gearbeitet wird? Der Verlag wirbt ausgerechnet mit schönen Farbmotiven aus dem vollmundig „nicht weniger als epochal“ titulierten Werk.

Das Buch als Objekt ist gelungen – mit Schuber und elegantem Leineneinband, mit Vorsatzpapieren im rosigen Farbton des Einwickelpapiers vom alteingesessenen Fleischer, mit großzügiger Bildpräsentation. Es gibt keinen Text bis auf die bemerkenswerte Danksagung des Fotografen: „Ich danke allen Produzenten, die mich in ihren Betrieben fotografieren ließen und denen ich Anonymität zusicherte und dabei bleibt es auch.“ Immerhin zeigt diese Aussage, dass die Lebensmittelproduzenten sowohl Sinn für Kunst als auch kein Interesse an einer kritischen Auseinandersetzung mit ihren Produktionsmethoden haben. Den Spielraum dazwischen hat Schmidt souverän genutzt.

  • Titel: Lebensmittel
  • Untertitel: 
  • Bildautor: Michael Schmidt
  • Textautor: 
  • Herausgeber: Markus Heinzelmann

  • Gestalter: Michael Schmidt
  • Verlag: Snoeck
  • Verlagsort: Köln
  • Erscheinungsjahr: 2012
  • Sprache: deutsch
  • Format: 32 x 30 cm
  • Seitenzahl: 264
  • Bindung: Leinen, Schuber
  • Preis: 97 Euro bis 30.4.2012, danach 128 Euro
  • ISBN: 978-3-940953-93-3

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