Linden in Dorf und Stadt

Ein Baumbuch zwischen Heimatfotografie und Konzeptkunst

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zur Linde (nicht Zur Linde) heißt das erste Buch des Fotografen Michael Paul Romstöck, dessen Thema mich aufgrund meiner eigenen, vor fast vier Jahrzehnten entstandenen Diplomarbeit zu einem ähnlichen Thema sofort ansprach: Fotos von Lindenbäumen. Romstöck wählte seine Motive aus dem bekannten Fundus von Dorf-, Gerichts- und Tanzlinden. Die Linde wird auch als Namensgeber von Gasthäusern und als Straßenbegleitgrün (Unter den Linden, Berlin) gewürdigt – Suchbilder mit traurig dünnen Stämmchen, die zwischen Beton und Asphalt bis zum nächsten Kahlschlag dahinvegetieren. Dann wird der Baum, weil nachpflanzbar, zur stadtplanerischer Verfügungsmasse. Anders in den Dörfern, wo junge Bäume durch Gerüste „geleitet“ werden, damit sie ein dichtes Blätterdach entwickeln und wo hohle Stämme von Baumveteranen gestützt und ausgemauert werden, um ihr Überleben an Kirchen oder auf Gerichtsplätzen und Angern zu sichern. Die in der Kulturgeschichte seit Alters eine wichtige Rolle spielenden Linden haben ein weiches Holz, können aber im hohlen Stamm neue Wurzeln ausbilden, die die Krone stabilisieren. An guten Standorten können Linden auf diese Weise mehrere Jahrhunderte alt werden – und dabei bizarre Stammformen entwickeln. An schlechten Standorten wachsen sie erst gar nicht oder werden wegen der von ihnen ausgehenden „Gefahren“ für das moderne Leben abgeholzt wie die 400jährigen Linden von Ergolding, deren trauriger Überrest anschließend einen gläsernen Sarg bekam.

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Romstöck fand für seine nur leicht über ein Quadrat hinausgehenden Hochformate eine ruhige, textlose Sequenz. Ein im Gegensatz zu den Bildtafeln alphabetisch geordneter Bildindex und kurze Erläuterungstexte (Zitate aus Büchern, Lokalzeitungen, von Naturschützern und aus E-Mails) folgen im Anhang. Das Buch hat einen wunderschönen grünleinernen Einband mit einer pixeligen Baumsilhouette (vom Motiv „Gelsenkirchen“) als Prägung. Das gelbe Vorsatzpapier ist mit einem Lindenblütenornament versehen. Die Druckqualität der analog im Großformat aufgenommenen Bilder ist seltsam grau und unbrillant – als ob die Lichtwerte beim Umwandeln in das Schwarzweiß des Buches irgendwie gelitten hätten. Oder sollte das, Michael Schmidt lässt grüßen, genau so sein? Manchen Bildern sieht man die Schwierigkeit an, gestalterisch zwischen kritisch-dokumentarischem Geist und einer freundlich-attraktiven Darstellung die Waage zu halten. So changiert das Buch auf dem Weg zu einer „essayistischen Erzählung“ (Verlagstext) unentschlossen zwischen Heimatfotografie und Konzeptkunst. Ich hätte gern mehr über die Motivation des Fotografen erfahren, sich gerade heute diesem traditionsreichen und oft bearbeiteten, nicht zuletzt deshalb schwierigen Thema zu widmen.

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  • Titel: zur Linde
  • Untertitel: 
  • Bildautor: Michael Paul Romstöck
  • Textautor: (diverse)
  • Herausgeber: 
  • Gestalter: Michael Paul Romstöck
  • Verlag: Kettler
  • Verlagsort: Dortmund
  • Erscheinungsjahr: 2021
  • Sprache: deutsch
  • Format: 25,5 x 21,5 cm
  • Seitenzahl: 144 (nicht paginiert)
  • Bindung: Leinen
  • Preis: 42 Euro
  • ISBN: 978-3-86206-882-1

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