Nicht nur wie vom anderen Stern

Kühnheit und Alltag sozialistischer Architektur in Fotos von Frédéric Chaubin und Roman Bezjak

Chaubin

Für die Ästhetik kommunistischer Baukunst scheint sich neuerdings auch die Fotografie zu interessieren. Fast könnte man das meinen, erschienen doch gleich zwei Fotobücher zur Architektur des Ostblocks, Bücher die unterschiedlicher kaum sein könnten und die zeigen, wie man Fotografie so oder so einsetzen kann. Beide Bücher sind als Kataloge zu Ausstellungen in Karlsruhe (Chaubin) bzw. Hannover und Hamburg (Bezjak) erschienen.Das kyrillische Kürzel CCCP stand bekanntlich für Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken. Frédéric Chaubin hat daraus „Cosmic Communist Constructions Photographed“ gemacht. Der Band dokumentiert rund 100 vergessene Architektur-Relikte, die fast ausnahmslos wirken, als seien sie von einem anderen Stern geschickt und auf der Erde vergessen worden: Vergnügungs- und Kulturpaläste, Wissenschafts- und Technikgebäude, Sportanlagen, Erholungszentren und Gedenkstätten. Zu bestaunen sind so ausladende wie monumentale Konstruktionen, bizarre architektonische Formen mit kühn in sich verschachtelten Elementen oder „üppige Dekors, oszillierend zwischen Wagemut und Wahnsinn“ (Chaubin). Das Ganze ist umso überraschender, als unser Bild von sowjetischer Architektur durchweg von eintöniger Ödnis zwischen stalinistischem Zuckerbäckerstil und Plattenbautristesse dominiert wird.

Das Buch ist ein gelungenes Stück Alltagsarchäologie der Gegenwart, Ergebnis mehrjähriger Reisen mit dem Ziel, fotografisch festzuhalten was noch festzuhalten ist. Deutlich wird: die so bauten, hatten Fantasie, Weitsicht, Visionen und den Mut, diese in ästhetisch anspruchsvoll geformten Stahlbeton Wirklichkeit werden zu lassen. Und das in der UDSSR unter Breschnew! Erstaunlich!

So aufregend die Fotos, so unaufgeregt und angenehm sachlich ist der Bildteil gestaltet. Chaubin fotografiert in Farbe und Schwarz-Weiß. Er liebt die Totale, um die Einbettung der Gebäude in die Umgebung zu zeigen, um so ihre absurde Überwirklichkeit zu unterstreichen. Innen- und Detailaufnahmen fokussieren den Blick. Wünschenswert wären Kurzbiografien der Architekten gewesen. Dass man Chaubins kundigen architekturhistorischen Essay in weißer Schrift auf knallrotem Grund gesetzt hat, macht die Lektüre zur Qual und ist als Anspielung so plump wie überflüssig. Muss es denn immer mit dem Hammer sein? Immerhin ist die Schrift nicht auch noch in Sichelgelb…

Ernüchternd dagegen die Fotoserie von Roman Bezjak. Auch er reiste viel, allerdings nicht nur durch die CCCP, sondern auch nach Polen, in die baltischen Staaten, nach Serbien und Slowenien, Ungarn und in die ehemalige DDR. Er suchte typische Beispiele für die sozialistische Moderne, vor allem rationell zu fertigende Plattenbauten, die den Genossen neue Wohnungen in industriellen Maßstab bescherten nebst den passenden Kaufhallen und Kulturzentren. Der Fotograf suchte und fand Alltagssituationen, die den in die Jahre gekommenen Charme der betonierten Monster durch pastellig-blasse Farben und leichte Überbelichtung zur Wirkung bringen, aber auch vergleichbar machen, ohne gleich in typologische Strenge à la Becher zu verfallen. Dass der Kommunismus (fast überall) Geschichte ist, merkt man der knallbunten Werbung an, die allerorten zu sehen ist, und an den Autos. Der Fotograf hätte natürlich auch Beispiele aus dem kapitalistischen Städtebau mit in die Serie schmuggeln können, denn den Plattenbau gab es auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs. Aber das hätte das Konzept verdorben. Ironie der Geschichte ist, dass diese Bauten inzwischen Objekte für den Denkmalschutz sind – doch wie soll man die tristen Wohnmaschinen, die für eine rationelle Fertigung und nicht für die Ewigkeit gedacht waren, auf Dauer erhalten? Chaubin und Bezjak zeigen beide in eindrucksvoller Weise, dass die Bauten der sozialistischen Moderne Kulturdenkmale sind, die noch viele Diskussionen auslösen werden.

  • Titel: CCCP
  • Untertitel: Cosmic Communist Constructions Photographed
  • Bildautor: Frédéric Chaubin
  • Textautor: Frédéric Chaubin
  • Herausgeber: Simone Philippi
  • Gestalter:  Sense/Net Art Direction, Andy Disl, Birgit Eichwede
  • Verlag: Taschen
  • Verlagsort: Köln
  • Erscheinungsjahr: 2011
  • Sprache: englisch, deutsch, französisch
  • Format: 
  • Seitenzahl: 312
  • Bindung: illustriertes Hardcover
  • Preis: 39,99 Euro
  • ISBN: 978-3-8365-2519-0
  • Titel: Socialist Modernism
  • Untertitel: Archeology of an Area – Archäologie einer Zeit
  • Bildautor: Roman Bezjak
  • Textautor: Till Briegleb, Christian Raabe, Inka Schube
  • Herausgeber: Inka Schube
  • Gestalter: Mario Biehs, Sabine Schmidtpeter, Dirk Fütterer
  • Verlag: Hatje Cantz
  • Verlagsort: Ostfildern
  • Erscheinungsjahr: 2001
  • Sprache: deutsch, englisch
  • Format: 
  • Seitenzahl: 160
  • Bindung: illustriertes Hardcover
  • Preis: 39,80 Euro
  • ISBN: 978-3-7757-3188-1

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